Fotos: Martin Magunia
Anlässlich der Sonderausstellung „Mein Verein“ fand am 27. Februar 2018 die Diskussionsveranstaltung „Kitt unserer Gesellschaft – Halten Vereine uns zusammen?“ in Kooperation mit dem Haus der Geschichte statt. Auf dem Podium diskutierten Prof. Dr. Sebastian Braun, Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin und Leiter der Abteilung „Integration, Sport und Fußball“ am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung, Cacau, Integrationsbeauftragter des Deutschen Fußballbundes und ehemaliger Profifußballer, Michael Kramp, Vorstandsmitglied beim Festkomitee Kölner Karneval, und Prof. Dr. Clemens Tesch-Römer, Direktor des Deutschen Zentrums für Altersfragen. Dr. Moritz Küpper, Landeskorrespondent des Deutschlandradios, übernahm die Moderation des Abends.
In seiner Begrüßung erläuterte Prof. Dr. Dieter Engels, stellvertretender Kuratoriumsvorsitzender der Bonner Akademie, den Wandel des Vereinswesens in Deutschland; seit der Jahrtausendwende sinke die Zahl der Mitglieder kontinuierlich. Zudem sei der Begriff des Vereins sehr breit, Arten, Mitgliederzahlen und Inhalte variierten stark, deshalb unterscheide sich auch die jeweilige integrative Kraft. Besonders Sport- und Fußballvereinen werde jedoch in diesem Zusammenhang eine hohe Wirkung zugeschrieben.
Prof. Dr. Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, erläuterte den Hintergrund der Veranstaltung am Beispiel der Sonderausstellung „Mein Verein“, die das Haus der Geschichte umgesetzt hat. Diese veranschauliche die soziale Bedeutung des Vereinswesens, das auch heute noch immer gesellschaftlich prägend sei. Allein in Bonn gebe es rund 4.300 Vereine, 50 Prozent aller Deutschen seien Mitglied in einem Verein. Beeindruckend sei in diesem Zusammenhang besonders die Vielfalt des Angebots. Einend sei jedoch, dass alle Vereine vom Engagement ihrer Mitglieder leben.
Zum Auftakt der Diskussionsrunde erläuterte Cacau, dass Vereine für ihn etwas typisch Deutsches seien, vergleichbares lasse sich in seinem Heimatland Brasilien nicht finden. Die integrative Kraft, die Vereine entfalten können, habe er erst richtig mit der Anmeldung seines Sohnes im örtlichen Fußballverein kennengelernt. Gerade der Fußball sei in diesem Zusammenhang ein Volkssport, der als Kitt der Gesellschaft wirken könne. Seine Aufgabe als Integrationsbeauftragter diene deshalb vor allem dazu, die Aufmerksamkeit für Integration und Ehrenamt an der Basis zu schaffen. Eine zentrale Herausforderung sei, das Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund zu stärken, hier biete der Fußball großes Potenzial.
Prof. Dr. Sebastian Braun wies ebenfalls auf die Vielfalt des Vereinswesens hin: So gebe es sowohl Konsumentenvereine, deren Vereinszweck auf die jeweiligen Interessen der Mitglieder zugeschnitten sei als auch Lobby- oder Protestvereine, die eher politisch tätig seien. Dennoch spielten Vereine eine bedeutende Rolle für den Zusammenhalt, indem sie alltägliche Unterstützungsnetzwerke schafften und Engagement und Aktivität förderten. Gleichzeitig dürfe man jedoch auch nicht vergessen, dass Vereine nicht per se offen seien, Zusammenhalt und interne Interessen zögen automatisch auch eine Grenze nach außen.
Einen realistischen Blick auf das Vereinsleben in Deutschland nahm Prof. Dr. Clemens Tesch-Römer ein: Das harmonische Bild müsse man ein stückweit beiseiteschieben, denn die Gesellschaft sei ein Gemenge teils konkurrierender Interessen, die sich auch ins Vereinsleben verlagerten. Einige Vereine, erläuterte Tesch-Römer am Beispiel der Essener Tafel, deuteten zudem auf ein Versagen des Staates hin. Die Aufgabe des Staates sei in diesem Zusammenhang, die Gegebenheiten zu schaffen, in denen Vereine nicht erdrückt oder alleingelassen würden. Insgesamt befinde sich das bürgerschaftliche Engagement jedoch im Wandel: Die Zahl der Menschen, die sich außerhalb eines Vereins freiwillig engagierten, steige stetig. Sorgen um den klassischen Verein seien deshalb nicht ganz unberechtigt.
Den identitätsstiftenden Faktor des Karnevals in Köln erläuterte Michael Kramp. Der Kölner Karneval sei aus der Stadtgesellschaft gegenwärtig nicht wegzudenken und vor allem der Straßenkarneval zeige sich dabei offen für alle, ganz unabhängig von Status und Herkunft. Dennoch könnten bestimmte Vereinsinhalte, etwa die ,Kölsche Mundart‘, auch abschottend und ausgrenzend wirken. Dieser Faktor werde auch im Festkomitee immer wieder diskutiert. Umso wichtiger, wenn auch ebenfalls kontrovers, sei deshalb ein Engagement der Vereine gegen Ausgrenzung, wie etwa bei der Aktion buntes Köln anlässlich des AfD-Parteitags im April 2017.
Abschließend waren die Diskutanten sich einig, dass sich der Verein und damit verbunden auch das bürgerschaftliche Engagement, derzeit im Wandel befinden. Dabei sei weniger die Rechtsform als das traditionelle Vereinsleben in Gefahr. Die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen bewirken vor allem einen Wandel in der Funktionalität von Vereinen.