Am 30. März 2022 diskutierten Minister Herbert Reul, Minister des Inneren des Landes Nordrhein-Westfalen, Frank-Arno Richter, Polizeipräsident von Essen und Mülheim an der Ruhr, Dr. Ralph Ghadban, Islamwissenschaftler, Publizist und Politologe, sowie Sebastian Fiedler MdB, Kriminalbeamter und ehemaliger Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, zum Thema „Kriminalität und ihre Folgen: (Un-)Sicherheit im Ruhrgebiet“. Durch den Abend führte Charlotte Schröder, Leiterin NRW-Landespolitik und Landtagskorrespondentin RTL WEST. Die Diskussionsveranstaltung fand anlässlich der Buchveröffentlichung der Brost-Akademie „Auf Streife durchs Revier –Kriminalität und ihre gesellschaftlichen Folgen“ statt.
Professor Bodo Hombach begrüßte die anwesenden Gäste zur Podiumsdiskussion im Hotel Franz in Essen und führte in das Thema des Abends ein: Sicherheit sei ein Grunddaseinsbedürfnis und Freiheit entstehe durch Sicherheit, so der Präsident der Bonner Akademie, „das ist harte Arbeit – ein beständig neu zu leistender dynamischer Prozess.“ In seinem anschließenden Impulsvortrag machte Minister Herbert Reul deutlich, dass die gegenwärtige Situation in der Ukraine auch eine Chance sei, das Thema Innere und äußere Sicherheit verstärkt in den Fokus zu rücken. Nur wenn Menschen sich sicher fühlen und in Sicherheit leben, können sie frei sein und eine Gesellschaft weiterentwickeln – Sicherheit sei eine Grundlage für alles andere. Im Rahmen der Inneren Sicherheit im Ruhrgebiet ist besonders die Bekämpfung der Clan-Kriminalität schon seit längerem ein gewichtiges Thema. Hierbei verwies der Minister auf zwei entscheidende Punkte: Das Problem würde endlich benannt – dies sei eine Grundvoraussetzung für potentielle Lösungen – und es würde klar kommuniziert, dass die Bekämpfung einem Marathon gleiche – eine Langzeitaufgabe, die weder von heute auf morgen noch innerhalb einer Legislaturperiode zu bewältigen sei. Ungeachtet dessen seien bereits erste Erfolge in NRW zu verbuchen. Hierbei stellte der Minister heraus: Alle Institutionen machen mit.
Zum Einstieg in die Podiumsdiskussion sprach die Moderatorin des Abends, Charlotte Schröder, mögliche Faktoren an, die ein (Un-)Sicherheitsgefühl der Menschen im Ruhrgebiet beeinflussen. Polizeipräsident Frank-Arno Richter verwies dabei auf die wichtige Unterscheidung zwischen dem subjektiven Sicherheitsgefühl der Menschen und der real vorhandenen Sicherheit. In der Vergangenheit seien die Menschen oftmals vergessen worden. Nun sei es umso wichtiger, die (Un-)Sicherheitsgefühle der Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen und das Vertrauen in die Polizei zurückzugewinnen. Der Bundestagsabgeordnete Sebastian Fiedler benannte das prinzipielle Vertrauen in den Staat als größte Wirkungsmacht. Demnach müsse den Bürgerinnen und Bürgern deutlich gemacht werden, dass der Staat grundsätzlich funktioniere und handlungsfähig sei. Auch der Politologe Dr. Ralph Ghadban schloss sich der Auffassung an, dass Menschen den Institutionen vertrauen und diese ein Gefühl der Sicherheit erzeugen müssen. Aber die Politik könne dies „mit gutem Willen alleine nicht schaffen“. Er erlebe derzeit, dass Bürgerinnen und Bürger mit Schweigen auf Bedrohungen reagieren und die deutsche Polizei zudem digital nicht ausreichend ausgestattet sei, um Sicherheit zu gewährleisten. Bezogen auf die Clan-Kriminalität im Ruhrgebiet gehe es laut Frank-Arno Richter nicht nur um Sicherheit, sondern auch um den Sozialstaat. Deutschland habe kein Regelungsdefizit, sondern eines in der Umsetzung der Regelungen. Clans seien eine Chance, Innere Sicherheit als Systemfrage neu zu denken und Wege neu zu gehen. Eingehend auf die Frage möglicher Integrationsversagen äußerte der Essener Polizeipräsident die Auffassung, dass viele Fehler gemacht wurden: „Wir haben den Leuten nicht gesagt, wie unsere Spielregeln aussehen.“ Offensichtlich sei es aufgrund vieler verschiedener Ursachen nicht gelungen, diese Menschen zu integrieren, so Minister Herbert Reul, aber zum Teil gebe es auch keine Bereitschaft dazu – „wir haben die Entwicklung einer Parallelgesellschaft geduldet.“ Die Chance sei nun, für den Rechtsstaat weiter zu werben, die Regeln gelten für alle und für jeden.
Zur Einordnung des Themas verwies Sebastian Fiedler MdB darauf, dass der Fokus auf die Clan-Kriminalität angesichts des Veranstaltungstitels zu kurzgefasst sei und das Thema in einen größeren Rahmen gesetzt werden müsse. Hauptthema der Sicherheitsprobleme sei beispielsweise der Rechtsextremismus, vor allem, weil dieser die Institutionen unterwandere. Ein weiteres zentrales Thema sei die Cyber-Kriminalität und die damit verbundene Herausforderung der Digitalisierung bei der Polizei: Im Bereich der Technik entwickele sich momentan sehr viel, im Bereich der Qualifikation müsse die Spezialisierung der vielen Berufsbilder innerhalb der Polizei deutlich gemacht und die Mitarbeitenden befähigt werden mit der Digitalisierung und den Entwicklungen mitzuhalten. Laut Frank-Arno Richter seien Cyberangriffe mittlerweile zum Alltag geworden und die organisierte Kriminalität spiele sich fast nur noch im Netz ab, das sei eine wesentliche Veränderung. Aber die Polizei haben exzellent ausgebildete und hoch engagierte Kolleginnen und Kollegen: „Ich bin guter Hoffnung, dass wir den zukünftigen Herausforderungen begegnen können.“ Minister Herbert Reul ergänzte: das Ruhrgebiet habe die größte Ansammlung von Menschen in NRW. Wenn in dieser großstädtischen Struktur Probleme gelöst würden, könnten diese Ansätze für viele andere Regionen und Strukturen als Vorbild dienen. Im Rahmen der abschließenden Publikumsfragen wurde unter anderem auf die Rolle der Justiz näher eingegangen. Dr. Ralph Ghadban sieht hier ein strukturelles Problem, vor allem hinsichtlich der Resozialisierung. Menschen, die nicht aus Demokratien kommen, würden den deutschen Rechtsstaat nicht ernst nehmen. „Wir müssen miteinander reden“, zog Minister Herbert Reul abschließend zum Verhältnis von Polizei und Justiz ein Fazit.
Der Sammelband „Auf Streife durchs Revier. Kriminalität im Ruhrgebiet und gesellschaftliche Folgen“ kann hier käuflich erworben werden.
Bilder BAPP / Günther Ortmann