Forschungsprojekt „Demokratiereform“

Mit der Frage einer Demokratiereform beschäftigte sich 2012 eine Forschungsgruppe der Bonner Akademie unter Leitung von Prof. Dr. Frank Decker.

Prof. Dr. Frank Decker
von Redaktion / in Abgeschlossene Forschungsprojekte, Leitartikel /

Unterstützt wurde das Projekt von Dr.-Ing. e.h. Wolfgang Clement, Bundesminister und Ministerpräsident a.D. Einen Zwischenbericht hat die Forschungsgruppe Ende 2012 vorgelegt, Anfang 2014 fand die Abschlussveranstaltung statt.

Problemaufriss
Die Legitimität demokratisch verfasster politischer Systeme speist sich aus zwei Quellen: der Zustimmung, die die Herrschaftsform im Allgemeinen und die Ausübung der Herrschaft im Speziellen von Seiten der Regierten erfährt, und der Regierungsfähigkeit. Die erste Quelle wird in der Demokratietheorie als Input-Legitimation, die zweite als Output-Legitimation bezeichnet. Input- und Output-Legitimation stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander, bleiben aber im Kern aufeinander bezogen. Denn inhaltlich richtige Entscheidungen, die zur Problemlösung beitragen, nützen wenig, wenn sie nicht zugleich bei den Adressaten auf Akzeptanz stoßen. Diese Akzeptanz kann nur über geeignete Input-Strukturen hergestellt werden, die den Entscheidungsbetroffenen die Möglichkeit geben, auf die politischen Inhalte einzuwirken, sie in die von ihnen gewünschte Richtung zu lenken. Mangelt es an der Akzeptanz, verfehlen die Entscheidungen entweder ihre Wirkung. Oder sie rufen Protest und Widerstand hervor, der sich im schlimmsten Fall zu einem anhaltenden Loyalitätsentzug gegenüber der Politik und dem politischen System auswächst.
Auch wenn dieser schlimmste Fall noch nicht eingetreten ist oder kurz bevorsteht, so ist doch unerkennbar, dass die Demokratie heute von beiden Seiten unter Druck gerät. Auf der einen Seite begegnen die Bürger der Politik mit zunehmender Skepsis. Ihr Vertrauensverhältnis zu den Regierenden scheint nachhaltig gestört zu sein, was sich in der nachlassenden Organisationskraft der Parteien, rückläufiger Wahlbeteiligung, „abweichendem“ Stimmverhalten und anderweitigen Protestformen ausdrückt. Auf der anderen Seite wachsen die Zweifel, ob die demokratisch verfassten Gesellschaften den Herausforderungen des aktuellen und künftigen Regierens überhaupt noch Herr werden können. Schuldenkrise, Klimawandel, Überalterung und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich sind nur einige der drängenden Probleme, die die heutigen Entscheidungsstrukturen zu überfordern drohen. Manche Pessimisten gehen inzwischen sogar soweit, dass sie die natürliche Überlegenheit der Demokratie gegenüber nicht-demokratischen (autoritären) Herrschaftsformen in Frage stellen.
Die Vertrauenskrise des politischen Systems spiegelt sich zugleich im Verhältnis der Politik zur Wirtschaft wider. Weil wirtschaftliches Wohlergehen der wichtigste Ausweis der Regierungsfähigkeit ist, bleibt die Politik auf den Leistungswillen und die Innovationskraft der Wirtschaftsunternehmen angewiesen, wenn sie ihre eigene Legitimation sicherstellen will. Die Unternehmen wiederum benötigen verlässliche Rahmenbedingungen, um solche Leistungen zu erbringen. Dennoch unterliegen beide Subsysteme unterschiedlichen Funktionskriterien, die das wechselseitige Verständnis erschweren. Ablesbar am Management der Euro-Krise oder der nach der Fukushima-Katstrophe eingeleiteten Energiewende, erleben viele Unternehmer die Politik dieser Tage als Gegenteil von dem, was ihre eigene Welt ausmacht: planvolles Handeln, Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit. Dies führt dann dazu, dass sie das beklagte Führungsdefizit häufig selbst mit markigen Wegbeschreibungen ausfüllen, was wiederum die Politik als anmaßend empfindet. Zu Recht weisen die so Gescholtenen darauf hin, dass sich ein Land nicht so führen lasse wie eine Firma. Denn anders als die Führer eines Unternehmens sind die Politiker nicht nur einem kleinen Kreis von Eigentümern verpflichtet, sondern der gesamten Wählerschaft mit ihren vielfältigen, oftmals widersprüchlichen und nicht nur auf die ökonomische Sphäre beschränkten Interessen.
Dem gesellschaftlichen Interessenpluralismus entspricht die Komplexität der politischen Entscheidungsstrukturen. Föderalismus, Rechtswegestaat und para-staatliche Institutionen sorgen dafür, dass diese in der Bundesrepublik eher stärker ausgeprägt ist als in anderen vergleichbaren Regierungssystemen. Hinzu kommt der im Gefolge der Euro-Krise demnächst noch enger werdende Entscheidungsverbund der EU-Staaten. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, wenn von Seiten der Wirtschaft Forderungen nach einer „Entkomplizierung“ des Systems laut werden. Um bessere und schnellere Problemlösungen zu ermöglichen, sollen vorhandene Konsenszwänge zurückgedrängt und die politischen Entscheidungsträger mit mehr Autorität und Entscheidungsmacht ausgestattet werden. Die Sehnsucht nach dem starken Mann, die hinter solchen Vorstellungen aufscheint, weckt ungute Erinnerungen – selbst wenn sie wie hier in einem demokratischen Gewand daherkommt.
Realistisch angelegte Demokratiereformen dürften dagegen, wenn sie zu einer Steigerung der Regierungsfähigkeit führen sollen, nicht weniger, sondern eher mehr und in vielen Fällen einen anders organisierten Konsens erfordern. Beides sind – wie eingangs erwähnt – Seiten derselben Medaille. Wer das Heil also – wie die Wirtschaft – vor allem in schnelleren und besseren Problemlösungen sucht, sollte dies nicht auf Kosten der demokratischen Rechte der Bürger tun. Und wer umgekehrt – wie viele Bürger und Wissenschaftler – für eine Stärkung der demokratischen Rechte eintritt, sollte dabei auch die Handlungs- und Funktionsfähigkeit des politischen Systems im Auge behalten. Ziel der Reformen muss es sein, die Legitimität der Demokratie unter dem Strich zu stärken.

Projektidee
Eine thematisch, nach Bereichen des Regierungssystems gegliederte, handbuchförmige Auflistung institutioneller Reformvorschläge – bezogen auf das politische System der Bundesrepublik und zugleich darüber hinausweisend. Hintergrund des Projekts ist die Beobachtung, dass manche Vorschläge in der Debatte immer wieder auftauchen und andere – obwohl gut begründbar – kaum diskutiert werden. Für die Auswahl der Vorschläge ist nicht in erster Linie die jeweilige Wahrscheinlichkeit ihrer Realisierung maßgebend. Die Präsentation der Ideen hat vielmehr eine heuristische Funktion, indem die Vorschläge den Blick auf Funktionsschwächen und Legitimationsprobleme des vorhandenen demokratischen Systems lenken.

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