Zum Thema „Moderne Industriepolitik – (k)ein Widerspruch zur Sozialen Marktwirtschaft?!“ diskutierten am 16. Juni 2019 auf dem Podium der Bonner Akademie der Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Peter Altmaier, MdB, und Christian Kullmann, Vorstandsvorsitzender der Evonik Industries AG. Hans-Jürgen Jakobs, Autor und Senior Editor des Handelsblattes, führte durch den Abend.
Bilder BAPP / Günter Ortmann
Die Eröffnung des Abends übernahm Prof. Bodo Hombach, der Präsident der Bonner Akademie, der auf die schwierige Situation der deutschen Wirtschaft im globalen Vergleich hinwies, in dem deutsche Industrievertreter ihren Vorsprung der letzten Jahrzehnte mehr und mehr einbüßten. In solchen Zeiten sei es wichtig, dass sowohl in unternehmerischen als auch in staatlichen Führungspositionen „Experten am Werk“ seien, zu denen Prof. Hombach die Diskutanten zählte.
Ausgangspunkt der Rede von Bundesminister Peter Altmaier war die zentrale Frage: „Wovon wollen wir (jetzt und in Zukunft) leben?“ In Zeiten einer globalen Marktwirtschaft, stünden wir vor der doppelten Herausforderung: Zum einen die erhöhte globale Produktion mit dem wichtigen Ziel des Umweltschutzes in Einklang zu bringen, zum anderen die eigene Exportwirtschaft international konkurrenzfähig zu halten. Er verwies zudem auf die Probleme, vor denen Deutschland und die Europäische Union auch durch die protektionistische Politik der US-Administration stünden. Daher müsse sich Deutschland beeilen, um nicht den Anschluss in der Entwicklung zukünftiger Schlüsselindustrien zu verpassen. Es sei essenziell wichtig, sich nicht zu widersetzen, sondern mit Optimismus und Selbstbewusstsein zu agieren und als führende Industrienation der EU voranzuschreiten.
In der anschließenden Podiumsdiskussion erinnerte Hans-Jürgen Jakobs an Ludwig Erhardt, den Vater der sozialen Marktwirtschaft, der in Westdeutschland auch gegen den Widerstand der Alliierten Preisfreiheit und marktwirtschaftlichen Wettbewerb etabliert habe, und fragte die beiden Diskutanten, ob dieser Weg auch heute noch der richtige für die deutsche Wirtschaft sei.
Christian Kullmann entgegnete, dass das derzeitige Modell der deutschen Marktwirtschaft extrem in Bedrängnis geraten sei und sich dies in Zukunft noch verstärken werde. Als Beispiel führte er an, dass China bereits heute 35 Prozent der weltweiten Chemieproduktion kontrolliere. Das erklärte Ziel des chinesischen Staates sei es, bis 2030 diesen Anteil auf über 50 Prozent zu erhöhen. Gleichzeitig könne man von der Politik Donald Trumps halten, was man wolle, müsse aber anerkennen, dass in den USA derzeit fast Vollbeschäftigung herrsche. Deutschland und Europa könnten gegen diese Dominanz nichts machen, es müsse also die Bereitschaft geben, die eigenen wirtschaftlichen Konzepte zu überdenken, um sich in eine möglichst konkurrenzfähige Situation für die Zukunft zu bringen.
Auch Peter Altmaier verwies darauf, dass für internationale Großaufträge die als „hidden champions“ bezeichneten kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht die notwendige Kapitaldecke hätten. Hier sei es erforderlich, dass die Großen der deutschen Wirtschaft – wenn notwendig auch mit Unterstützung durch den Staat – alles dafür täten, deutsche Schlüsselindustrien auch in Deutschland zu halten und keinen Ausverkauf der eigenen technologischen Souveränität an ausländische Investoren zulassen. Notfalls müsse eben der Staat – zeitlich begrenzt und wirklich nur als letztes Mittel – als Investor auftreten, um dies zu verhindern.
Einigkeit herrschte bei beiden Diskutanten in der Frage industrieller Grundlagenforschung. Peter Altmaier gefiel der Vorschlag Christian Kullmanns, Industriekonzernen Steuererlässe zu gewähren gegen das Versprechen, jeden steuerfreien Euro in die Forschung und Entwicklung zu stecken, um Deutschland auch in Zukunft konkurrenzfähig zu halten.