Einen passenderen Tag hätte es fußballhistorisch kaum gegeben: genau 65 Jahre nach dem Wunder von Bern und dem ersten Weltmeistertitel für die Bundesrepublik Deutschland veranstaltete die Bonner Akademie am 4. Juli 2019 einen Workshop zum Thema „Identität und sozialer Zusammenhalt – Zur gesellschaftlichen Bedeutung des Fußballs im Ruhrgebiet“ im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund. Gemeinsam mit Lars Philipp, Projektleiter des Bildungsprogramms im Deutschen Fußballmuseum, diskutierten die Teilnehmer im Anschluss an eine thematisch passende Führung durch die multimediale Ausstellung über das Potenzial des Fußballs hinsichtlich sozialem Zusammenhalt und die soziale Verantwortung des Fußballs sowohl auf Amateurs- wie auch auf Profiebene. Der Workshop fand im Rahmen des Bildungs- und Forschungsprojekts „Integrationspolitik für die Mehrheitsgesellschaft – Bildungs- und Beteiligungsmöglichkeiten für junge und alte Menschen im Ruhrgebiet“ statt, das die Bonner Akademie seit Februar 2018 zusammen mit der Brost-Stiftung durchführt.
Nach der positiven Resonanz zum ersten Workshop im Rahmen des Projekts ging das neuartige, auf den direkten Dialog ausgerichtete Format in die zweite Runde. Mit dem Ziel, erneut eine möglichst heterogene Gruppe zustande zu bekommen und den Generationendialog zu fördern, waren Interessierte aller Altersschichten eingeladen, von Studenten über Berufstätige bis hin zu Rentnern.
Nach der Begrüßung durch Sandra Butz, Projektkoordinatorin des Bildungsprojekts, startete die Führung durch das Deutsche Fußball-
museum, die die Teilnehmer durch 140 Jahre deutsche Fußballgeschichte und die schönsten und bewegendsten Fußballmomente führte. Immer wieder hob Herr Philipp, Projektleiter des Bildungsprogramms des Deutschen Fußball-museums, die enge Verknüpfung der gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland mit der Entwicklung des deutschen Fußballs hervor. Ganz im Sinne des Projekts der Bonner Akademie ging Herr Philipp immer wieder auf die besondere Bedeutung des Fußballs für und im Ruhrgebiet ein – von den ersten Zechenklubs bis hin zu den berühmten Kindern des Ruhrgebiets wie Helmut Rahn und Manuel Neuer. Nirgendwo in Deutschland spielt der Fußball eine so große Rolle wie im Ruhrgebiet: Im Ruhrgebiet gibt es deutschlandweit die meisten Zuschauer, die meisten aktiven Spieler sowie die größte Dichte an Vereinen, Plätzen und Stadien. Für die Menschen im Ruhrgebiet ist der Fußballverein mehr als nur reine Freizeit-beschäftigung: Der Fußball und seine Vereine bedeuten Heimat und Identifikation; nach dem Niedergang der Montanindustrie, ist es nun der Fußball, der einen Großteil zur regionalen Identität und Kultur beiträgt.
Neben der besonderen Bedeutung des Fußballs für Identität im Ruhrgebiet lag der Fokus in der anschließenden Diskussion vor allem auf der sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung des Fußballs. Zwischen den Teilnehmern entwickelte sich ein reger Austausch der eigenen Erfahrungen und eine engagierte Diskussion.
Einig waren sich die Teilnehmer vor allem über die besondere Rolle des Amateurfußballs hinsichtlich Integration und gesellschaftlichem Zusammenhalt. Im Amateurfußball und den vielen kleinen Vereinen ruhe ein großes Potenzial, das jedoch aufgrund von finanziellen Problemen nicht ausgeschöpft werden könne. Wie auch in der Gesellschaft diagnostizierten die Teilnehmer eine wachsende Entfremdung des (Profi-)Fußballs zu seiner Basis – in diesem Falle den Fans und den kleinen Vereinen. Auch in der Debatte zeigte sich deutlich, dass der Fußball immer auch die gesellschaftliche Entwicklung sowie ihre Probleme abbildet, im Guten wie im Schlechten.
Durch die immer stärker werdende gewinnorientierte Ausrichtung der Vereine und Verbände rücke der tatsächliche Fußball sowie seine Stärke als gesellschaftsübergreifendes Bindeglied immer mehr in den Hintergrund. Kritik übten die Teilnehmer in diesem Zusammenhang vor allem am DFB und der FIFA, die sich zwar öffentlichkeitswirksam mit großen Kampagnen gegen Rassismus und Rechts- extremismus als große moralische Instanz positionieren würden, gleichzeitig aber mit bspw. der Vergabe der WM nach Katar diesbezüglich eine große Inkonsequenz beweisen würden.