Am 28. Mai 2021 diskutierten Norbert Walter-Borjans, Bundesvorsitzender der SPD, Prof. Dr. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing, sowie Diana Kinnert, CDU-Politikerin, Publizistin und Unternehmerin zum Thema „Volksparteien – Auch in Zukunft noch Gestalter des Gemeinwohls?“. Durch den Abend führte Michael Hirz, ehem. Programmgeschäftsführer phoenix, Journalist und Moderator.
In seiner Begrüßung stellte Prof. Bodo Hombach, Präsident der Bonner Akademie, einleitend fest: „Die sogenannten alten Volksparteien sind nicht mehr die alten – sie üben neue Rollen ein“. Und führte fort, dass im Rahmen der derzeitigen Entwicklungen die Frage gestellt werden müsse, ob das Konzept der zusammenführenden Volksparteien noch gewollt ist.
Nach der Begrüßung durch Prof. Bodo Hombach, leitete Norbert Walter-Borjans mit einem Impulsvortrag in das Thema ein. Er skizzierte die Entwicklung der Volksparteien in den letzten Jahrzehnten sowie den Anspruch, der an ebendiese gestellt wird. Die große Aufgabe und Erwartung an die Volksparteien sei der zusammenbringende und vereinende Interessensausgleich zahlreicher Gruppen und Bewegungen, das Einbringen dieser in das Parlament und der Suche nach Mehrheiten, sprich die Gewährleistung der Stabilität des Parlamentarismus. Nun müsse geschaut werden, „wie die Bedeutung der Volksparteien wieder verstärkt in der Wahrnehmung deutlich gemacht werden kann.“
Der Moderator des Abends Michael Hirz startete mit einer Umfrage in die Diskussion: „Gibt es noch Volksparteien in Deutschland?“ 83 Prozent der Zuschauerinnen und Zuschauer bejahten diese Frage, 17 Prozent stimmten mit Nein. Prof. Dr. Ursula Münch erläuterte daraufhin das wissenschaftliche Verständnis von Volksparteien und – auch wenn der Höhepunkt der Volkparteien in Deutschland in den 1970er Jahren zu verorten sei und in dieser Form nicht mehr wiederkommen werde – tauge der Begriff auch heute noch.
Auf die Frage, wieso junge Menschen sich zunehmend seltener in Parteien engagieren und an Parteien binden, führte Diana Kinnert aus, „dass das programmatische Angebot für eine junge Generation nicht so vertretungsgemäß da ist, wie wir uns das wünschen“, das inhaltliche Angebot für Zukunftspolitik fehle. Unter anderem durch den generellen soziologischen Trend zunehmender Individualisierung und der Zersplitterung von Milieus seien keine richtigen kollektiven Erfahrungen mehr da. Potenziale zum Öffnen bieten das Internet und das zivilgesellschaftliche Engagement – dies zu nutzen, sei Aufgabe der Parteien; die Kampagnenfähigkeit der Parteien werde herausgefordert. Norbert Walter-Borjans betonte die große Verantwortung und Herausforderung der Volksparteien, die Themen Ökologie, Ökonomie und soziale Verantwortung zu verbinden.
Auf die Frage des Moderators, ob auch die Grünen mittlerweile als Volkspartei einzustufen seien, stellte Prof. Dr. Ursula Münch klar: „Die Grünen sind auch von ihrem eigenen Anspruch her keine Volkspartei.“ Die Partei beanspruche diese Bezeichnung nicht für sich und sei auch nach dem klassischen Verständnis der Wissenschaft keine Volkspartei, da ein ganz bestimmtes Milieu angesprochen werde. Dies habe für die Partei durchaus große Vorteile, v. a. in der aktuellen Stimmungslage in Deutschland. Die entscheidende Frage laute daher: „Was passiert mit den Grünen, wenn sie tatsächlich in führender Regierungsverantwortung wären?“ Norbert Walter-Borjans stimmte zu: Die Grünen haben ihr Wählerklientel im Wesentlichen nicht verändert, aber sie haben für diese Gruppe das Themenspektrum weit über die ökologische Frage hinaus erweitert.
Parteien haben derzeit ein grundsätzliches Akzeptanzproblem, aber Personen spielen – v. a. mit dem Blick ins Ausland – eine große Rolle, so Michael Hirz. „Ist das die Zukunft, also stärker auf Personen bezogene Politik, weg von den Parteien?“ Prof. Dr. Ursula Münch hält dies für keine Lösung bzw. für nur kurzfristig attraktiv – langfristig sei das für eine Gesellschaft und eine Demokratie höchst problematisch. Auch für Diana Kinnert stehen das Amt und die Institution klar vor der Person.
Michael Hirz schloss die Diskussion mit einer weiteren Umfrage: „Auch in Zukunft braucht es Institutionen, die möglichst viele verschiedene Meinungen abbilden und so einen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration leisten.“ Dieser Aussage stimmten mit 93 Prozent eine überwältigende Mehrheit der Zuschauenden und Zuhörenden zu.