Diskussion und Lesung „Renaissance der „Heimat“ – Über den wiederentdeckten Patriotismus in Deutschland“

Die Philosophin Thea Dorn und der Bundesvorsitzende der Grünen, Robert Habeck, diskutierten am 9. Juli 2018 über Heimat und Patriotismus.

von Redaktion / in Podiumsdiskussionen /
Clip zur Diskussion „Renaissance der ‚Heimat'“ mit Robert Habeck und Thea Dorn am 9. Juli 2018
Die Veranstaltung fand in Kooperation mit der lit:COLOGNE und im Rahmen der gemeinsamen Reihe ,Politik trifft Literatur‘ statt.

Die Renaissance der Heimat sowie die neu entflammte Debatte um den Patriotismusbegriff in Deutschland standen im Fokus der Diskussionsveranstaltung am 9. Juli 2018, die die Bonner Akademie in Kooperation mit der lit.COLOGNE im Rahmen der Reihe ,Politik trifft Literatur‘ im Bonner LVR-Museum durchführte. Der Parteivorsitzende von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN Dr. Robert Habeck diskutierte gemeinsam mit der Schriftstellerin und Philosophin Thea Dorn das Erstarken des Heimatbegriffs, die Schwierigkeiten seiner Politisierung sowie das Verhältnis zu Patriotismus. Louis Klamroth, Journalist und Moderator, führte durch den Abend.

Prof. Bodo Hombach, Präsident der Bonner Akademie, verwies in der Einführung auf die literarische Tradition des Heimatbegriffs.
Dr. Robert Habeck, Bundesvorsitzender Bündnis 90 / DIE GRÜNEN und stellvertr. Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, zeigte europäische Perpsektiven für den Heimat- und Patriotismusbegriff auf.
Thea Dorn, Schriftstellerin und Philosophin, erklärte die neu entflammte Diskussion um den Heimatbegriff durch wachsende Verlustängste.
Louis Klamroth, Journalist und Moderator, führte durch die Veranstaltung.
Prof. Bodo Hombach, Dr. Robert Habeck, Thea Dorn und Louis Klamroth vor der Veranstaltung.

Fotos: PALAZZO

Passend zur Veranstaltung führte Prof. Bodo Hombach, Präsident der Bonner Akademie, einführend literarische Bezüge zum Thema an: Mit Böll, Heine, Lenz oder Kästner hätten in der Vergangenheit zahlreiche Literaten versucht, sich einen Reim auf diese sogenannte Heimat zu machen, ohne jedoch zu einer vollumfänglichen Definition zu kommen. Das Comeback des Begriffs, so Hombach, sei jedoch nachvollziehbar, ein Wunsch nach Heimat, der mit einem Gefühl von Geborgenheit gleichgesetzt werden könne, sei legitim. Umso wichtiger sei es, den Populisten nicht den Kampf um diesen Begriff zu überlassen.

Dr. Robert Habeck verdeutlichte sein Verständnis dafür, dass viele Menschen Begriffe wie Heimat, Patriotismus oder Vaterland Unwohlsein bereiteten. Dennoch dürfe man anderen – besonders den Rechten und Rechtspopulisten – nicht die Definitionshoheit überlassen. Vor allem der Begriff des Patriotismus besitze politisch eine hohe Relevanz, während der Heimatbegriff vielmehr Utopie und Nostalgie ineinander vereine und nicht von der Politik instrumentalisiert werden sollte und als Narrativ nur wenig tauge.

Das Ende der Periode westlicher, eurozentrischer Dominanz habe dazu geführt, dass es insgesamt jedoch an einem Narrativ fehle, Merkels Politik, die Probleme klein zu halten, habe keinen nennenswerten Ersatz geliefert. Das (Wieder-)Aufkommen von Nationalismus und Rassismus sei vor allem durch die Suche nach einem alternativen Halt zu erklären. Gerade deshalb brauche man eine Art von ,linkem Patriotismus‘, der sich aber auch auf einen (politischen) Raum beziehen könne, der größer als Deutschland – also etwa Europa – sei.

Auch Thea Dorn charakterisierte ,Heimat‘ vielmehr als Seelen- denn als politischen Begriff. Die neu entflammte Diskussion sei vor allem dadurch zu erklären, dass Heimat – im Unterschied zum 19. Jahrhundert – heute eben nicht mehr sicher sei. Solche Debatten seien damit auch Indikator für größere gesellschaftliche Umbruchsprozesse, wie auch aktuell zu beobachten. Mit Blick auf das jüngst auf Bundesebene eingerichtete Heimatministerium gehe es weniger um die Definition eines allgemeingültigen Heimatbegriffs als um die Verbesserung der Infrastruktur, gerade im ländlichen Raum. So verstanden sei ein solches Ministerium durchaus sinnvoll.

Insgesamt so waren sich beide Diskutanten einig, sei die Rolle, die Europa als Identifikationsraum spielen könne, bisher unterschätzt. Dennoch sei es, so unterstrich vor allem Dorn, dafür notwendig ein europäisches Gemeinschaftsgefühl zu fördern, ohne das ein europäisches ,Wir‘ keinesfalls entstehen könne. Die Geschichte zeige, dass die Idee eines Friedensprojekts als gemeinschaftsstiftendes Element eben nicht ausreiche. Daran anschließend attestierte Habeck, dass die Europäische Union aktuell im schlechtesten Zustand seit dem Zweiten Weltkrieg sei. Dennoch sei der Bezug auf eine nationale Kultur immer gefährlich, Ausgrenzung welcher Art auch immer die Konsequenz; der Ordnungs- und Identifikationsrahmen müsse viel stärker europäisch sein, als national.

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