Am 19. November 2018 diskutierte Thomas Kufen, Oberbürgermeister der Stadt Essen, im Rahmen eines offenen Bürgergesprächs mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern im Unperfekthaus in Essen. Dr. Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), übernahm die Moderation des Abends. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Projektes „Integrationspolitik für die Mehrheitsgesellschaft – Bildungs- und Beteiligungsmöglichkeiten für junge und alte Menschen im Ruhrgebiet“ statt.
In seiner Begrüßung mahnte Prof. Bodo Hombach, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger offenbar nicht mehr abgeholt und mitgenommen fühlen würden. Dabei verwies er auf den Präsidenten des Deutschen Bundestages Wolfgang Schäuble der jüngst im Deutschlandfunk sagte, dass der Bürger noch nie so viele Möglichkeiten gehabt hätte, sich Gehör zu verschaffen wie heute. Und dennoch, so Prof. Hombach, scheinen die Bürger zu wenige oder falsche Antworten auf ihre Fragen zu bekommen – so zumindest ihr Gefühl.
Nach einigen einleitenden Fragen des Moderators Dr. Alexander Marinos hatten die Essener Bürgerinnen und Bürger Gelegenheit sich mit Ihren Anliegen direkt an den Essener Oberbürgermeister zu wenden und zu formulieren, an welchen Stellen sie sich dringenden Unterstützungsbedarf durch die Kommune wünschen. Thematisch unterlag die Veranstaltung nicht zuletzt auch deshalb keinerlei Einschränkungen. Prägnantestes Thema des Abends war in jedem Fall das erst jüngst gerichtlich angeordnete Dieselfahrverbot für Teile der A40, die direkt durch Essen führt.
Wie das Verbot in der Praxis umgesetzt werden soll, war eine Frage, die die über 150 anwesenden Gästen beschäftigte. Oberbürgermeister Kufen verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass die Pläne natürlich eingehalten werden müssen, das Ganze müsse gleichzeitig aber auch realistisch und umsetzbar bleiben. Die Frage des „Wie“ sei weiterhin nicht geklärt. Daran anschließend erläuterte der ebenfalls anwesende Essener Polizeipräsident, dass das Verbot die Polizeiarbeit in Essen ernsthaft bedrohe. Ein Großteil der Einsatzfahrzeuge der Polizei Essen seien eben jene Diesel-Autos, die nun verbannt werden sollen. Somit wäre es nach Inkrafttreten des Verbots gar nicht möglich für die Polizei, überhaupt auszurücken Frank Richter bezeichnete es gar als einen „realen Wahnsinn“, während der deutlich schmutzigere Schiffsverkehr gar nicht ins Visier gerate.
Neben dem Diesel-Verbot wurden noch weitere Themen und Fragen der Bürger diskutiert: Beim Thema Sicherheit unterstrich der Polizeipräsident Richter, dass Essen die viertsicherste Großstadt Deutschlands sei, die Beamten aber die Sorgen und Ängste der Bürger dennoch sehr ernst nehmen würden. Ganz konkret wurde beim Thema Sicherheit eine Bürgerin aus Essen-Steele: Sie verwies auf die Gründung einer Bürgerwehr, die Anwohner und Bürger in Angst versetzten würde und machte deutlich, dass sie nicht von ihnen, sondern vor ihnen beschütz werden möchte. Der Oberbürgermeister betonte entschlossen, dass es sich hierbei auch um Hooligans und Gewalttouristen aus Nachbarstädten handeln würde, die Polizei sich bereits darum kümmere und keine Toleranz für solche Aktionen aufbrächte. Von ziviler Seite versicherte Kufen bereits neue Mittel und eine bessere Ausbildung für die Ordnungsämter und deren Angestellte, um für mehr Präsenz vor Ort sorgen zu können.
Neben greifbaren Problemen in den Stadtteilen hakten die Bürger auch beim Thema Integration nach. Dabei spielte ganz konkret die Frage, was Integration bedeutet und wer überhaupt wohin integriert werden soll, eine entscheidende Rolle. Ohne auszuweichen, erklärte Thomas Kufen, dass für ihn eine vernünftige Mischung der Bevölkerung wichtig und fördernswert sei. Dabei seien Prävention, Förderung und Bildungschancen von essentieller Bedeutung bei dem Thema. Darüber hinaus, so Kufen, bewege sich bereits etwas. Stadtteile, die früher als verschrien galten, seien heute deutlich besser in ihrer Lebensqualität. Insgesamt sei Integration aber ein Prozess, der nie aufhört. Die Stadt Essen arbeite bereits seit Jahrzehnten daran und fördere durch die Unterstützung zahlreicher Projekte ein funktionierendes Miteinander. Bei der Integration von Geflüchteten sei es wichtig, Fehler aus der Vergangenheit nicht zu wiederholen und Menschen von Beginn an zu begleiten, um ihnen einen Einstieg in die Gesellschaft zu erleichtern.
Zum Ende des Bürgergesprächs wurde auch über das städteübergreifende Thema „Wohnen“ gesprochen. Viele Bürger beklagten sich in ihren Redebeiträgen darüber, dass die Stadt ihre Grundstücke an private Investoren veräußern würde, anstatt eigenen sozialen Wohnungsbau zu betreiben. Dabei, so lautete häufig der Vorwurf, ginge es der Verwaltung nur um den Profit. Dem wiedersprach der Oberbürgermeister erklärend. So würde kein „ständiger Verkauf“ stattfinden. Die Gebäude, die von der Stadt veräußert wurden, seien häufig renovierungsbedürftig und nicht mehr mit einem vernünftigen Haushalt zu verwalten. Auch dem Vorwurf des Verkaufs an sogenannte „Heuschrecken“ wiedersprach der Oberbürgermeister: Teilweise habe die Veräußerung gar Arbeitsplätze in Essen gerettet. Bezahlbarer Wohnungsraum sei ein wichtiges Thema in der Stadt und ein langfristiges Ziel, so Kufen.
Ziel der Veranstaltung war die konkrete Förderung aktiver Mitbestimmung und Teilhabe der Essener Bürgerinnen und Bürger. Darauf zielt u.a. auch das Forschungsprojekt „Integrationspolitik für die Mehrheitsgesellschaft ab“, dass die Gründe für die wachsende Unzufriedenheit und zunehmende Entfremdung breiter Gesellschaftsschichten von etablierten politischen und gesellschaftlichen Institutionen untersucht. Ziel ist es, dabei nicht nur das Verständnis für die Unzufriedenheit einer wachsenden Zahl von Menschen zu verbessern, sondern auch auf Grundlage einer fundierten Analyse der Situation im Ruhrgebiet greifbare Ansätze zur Re-Integration der ‚abgehängten‘ Bevölkerungsgruppen in das politische und gesellschaftliche Leben sowie konkrete Bildungsangebote – speziell für junge und alte Menschen – zu entwickeln und umzusetzen.