Im Rahmen der gemeinsamen Veranstaltungsreihe ‚Politik trifft Literatur‘ von der Bonner Akademie und lit.COLOGNE, diskutierten am 25. November 2019 Dr. Wolfram Eilenberger, Philosoph und Autor und Prof. Dr. Marie-Luisa Frick, Philosophin und Autorin zum Thema „Konstruktive Kontroverse: Muss Politik besser streiten?“. Durch den Abend führte der Journalist und Moderator Michael Hirz.





In seiner Begrüßung skizzierte Prof. Bodo Hombach, Präsident der Bonner Akademie, das Thema des Abends und betonte, dass streiten wichtig und Kommunikation alternativlos sei, es jedoch gute und schlechte Weisen zu streiten gäbe. Diese These wurde von den beiden Podiumsgästen Dr. Wolfram Eilenbeger („Zeit der Zauberer: Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919-1921“) und Prof. Dr. Marie-Luisa Frick („Zivilisiert streiten. Zur Ethik der politischen Gegnerschaft“) in der anschließenden Diskussion unter vielfältigen Aspekten aufgegriffen und debattiert. Michael Hirz sprach die gesellschaftlichen Entwicklungen und die Veränderungen der deutschen Debattenkultur über die letzten Jahrzehnte an. Auf seine Frage, ob es in Deutschland eine „Sehnsucht nach Konsens“ gäbe, erläuterte Dr. Wolfram Eilenbeger die Entwicklung, „von einer Konsenspolitik in eine Kontrapolitik“. Prof. Dr. Marie-Luisa Frick führte an, dass das ‚Faktum der Pluralität‘ unsere heutige Gesellschaft präge und diese fundamentale Pluralität auch die Streitkultur beeinflusse. Dr. Wolfram Eilenbeger stimmte zu: Wir erleben eine Pluralität des Menschlichen, mit der sich die Gesellschaft und jeder einzelne vorher nicht auseinandersetzen musste. Der Schriftsteller stellte darüber hinaus klar: „Das Faktum der Pluralität bringt den Streit mit sich“.
Eine der größten Herausforderungen ist laut Prof. Dr. Marie-Luisa Frick, dass unsere Gesellschaft das Hineinversetzen in gegensätzliche Standpunkte nicht ausreichend erlernt und es deswegen eine weitverbreitete Ohnmacht bzw. Unfähigkeit gibt, auf Aussagen argumentativ zu reagieren. Die Philosophin stellte eine „intellektuelle Verflachung, nicht nur in der Politik, sondern gerade in der Gesellschaft“ fest, wodurch viele entscheidende Debatten gar nicht erst geführt würden. Dr. Wolfram Eilenbeger betonte in diesem Zusammenhang, dass die momentanen politischen Debatten stark emotionalisiert und oftmals Ablenkungsstreits seien: „Wir streiten oft über die Themen, die aus politischer Sicht eher sekundär oder tertiär wären“.
Eine Konsensfindung ist nach Prof. Dr. Marie-Luisa Frick zwar oft nicht realistisch, aber die Möglichkeit, frei zu denken und zu sprechen und dadurch auch Verwundbarkeit zuzulassen, sei von grundlegender Bedeutung. Menschen von Debatten auszuschließen sei gefährlich, vor allem, wenn dies nicht auf Grundlage demokratisch legitimierter Grenzen, sondern privater Sanktionierungen geschehe. Dr. Wolfram Eilenbeger führte dazu an, dass sich eine ‚Hermeneutik des Verdachts‘ verbreite und die Moralisierung des Sprechens stärker würde.
Laut Dr. Wolfram Eilenbeger spielt das Setting, das Format für das Streiten eine wichtige Rolle. Eine „dialogische Resonanz zu kultivieren“ sei sehr schwierig, auch in sozialen Medien. Der Schriftsteller sieht den Roman als die „Gattung, die uns am ehesten zeigt, was es heißt, produktiv miteinander zu streiten.“ Einig waren sich die beiden Autoren in der Wichtigkeit alternativer und neuer Medien, die vielfältige und oftmals qualitativ sehr hochwertige Informationsmöglichkeiten bieten. Zudem gäbe es in Deutschland zwar eine sehr differenzierte und breite Medienlandschaft und gute strukturelle Bedingungen, jedoch müssten diese die Pluralität stärker anerkennen und auch in den Redaktionen und unter den Journalisten besser abbilden. Prof. Dr. Marie-Luisa Frick betonte zudem die hohe Bedeutung von öffentlich zugänglichen Räumen, in denen Menschen sich treffen können: „Wir brauchen physische Debattenorte“.
Nach Dr. Wolfram Eilenbeger ist das Einstellen der Kommunikation eine unterschätzte Tugend der Mäßigung. Dieses Instrument müsse mehr genutzt werden, wenn die Argumente ausgetauscht sind. Es sei wichtig sich einzugestehen, dass es nicht für alle Streits Lösungen gibt.