Zum Thema „Rechte vor Gericht – Eine Bilanz des NSU-Prozesses“ diskutierten Dr. Mehmet Daimagüler, Nebenklageanwalt im NSU-Prozess, Dr. Christos Katzidis, MdL und Kreisvorsitzender der CDU Bonn, Meral Sahin, Vorsitzende der IG Keupstraße Köln, und Prof. Dr. Benno Zabel, Strafrechtler an der Universität Bonn, am 25. Juni 2018 im Bonner Kirchenpavillon. Wilfried Pastors, Redakteur bei der BILD-Zeitung, übernahm die Moderation des Abends. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Projektes „Integrationspolitik für die Mehrheitsgesellschaft – Bildungs- und Beteiligungsmöglichkeiten für junge und alte Menschen im Ruhrgebiet“ statt, das die BAPP im Auftrag der Brost-Stiftung und unter Schirmherrschaft von Integrationsminister Dr. Joachim Stamp durchführt.
Auf die Relevanz des Prozesses verwies Prof. Dr. Dieter Engels, stellvertretender Kuratoriumsvorsitzender der BAPP, in seiner Begrüßung und Einführung. Ähnlich wie der Baader-Meinhoff-Prozess werde auch dieses Verfahren sich im kollektiven Gedächtnis der Menschen festsetzen. Der zunächst große personelle Fokus auf die Hauptangeklagte Beate Zschäpe habe vor allem zu Beginn des Prozesses jedoch das Leid der Opfer verdeckt, dies müsse spätestens nun – kurz vor Abschluss des Prozesses – stärker in den Vordergrund treten.
Die mangelnde Aufklärung im Rahmen des NSU-Prozesses kritisierte im Anschluss Meral Sahin. Die Untersuchungen hätten sich nur auf die drei Haupttäter konzentriert, obwohl eindeutig sei, dass dahinter ein größeres Netzwerk gestanden haben müsse. Auch gesellschaftlich sei kein umfassender Wunsch nach Aufklärung zu spüren gewesen, hier hätten deutlich mehr Menschen entsprechende Fragen stellen müssen.
Inwieweit die juristische Realität mit den Erwartungen der Betroffenen kollidiere, erläuterte Prof. Dr. Benno Zabel. Ein Strafprozess könne nicht hauptverantwortlich eine gesellschaftliche Sensibilisierung erzeugen, sondern nur auf gesellschaftliche Impulse einwirken. Demnach müsse man zwischen zwei Fragestellungen unterscheiden: Wie gehen wir auf der einen Seite mit dem Rassismus und dem grauenhaften Hintergrund um und welche juristischen Möglichkeiten haben wir auf der anderen Seite? Dieses Dilemma entstehe vor allem im Rahmen politischer Prozesse wie dem NSU-Verfahren.
Dr. Mehmet Daimagüler kritisierte ebenfalls die starre Verfahrensführung, die über Fragen von Schuld und Unschuld nicht hinausgegangen sei und nicht einmal versucht habe, die dahinterstehenden Strukturen und Netzwerke näher zu beleuchten. Zu denken, dass mit dem Tod von zwei Mitgliedern auch der NSU zerstört sei, sei naiv. Der institutionelle Rassismus, der sich auch schon während der polizeilichen Ermittlungen deutlich gezeigt habe, hätte das Vertrauen der Betroffenen in den Staat letztendlich vollkommen zerstört. Nicht zuletzt deshalb dürfe die Suche nach der Wahrheit nicht mit dem Urteilsspruch enden.
Dr. Christos Katzidis, der vor seiner politischen Karriere langjährig als Polizeirat tätig war, zeigte sich fassungslos gegenüber den polizeilichen Ermittlungen, auch diese müssten eigentlich strafrechtlich verfolgt werden. Zudem gebe es intern einige Möglichkeiten, etwa für Rassismus und ,Racial Profiling‘ zu sensibilisieren. Doch nicht nur die Polizei müsse ihre Methoden hinterfragen, gleiches gelte auch für die Politik. Vor allem gehe es darum, bestehende Befugnisse zu ändern, um zukünftig besser aufklären zu können. Ähnliche Ermittlungsfehler hätten auch im ,Fall Anis Amri‘ stattgefunden und dürften sich nicht noch ein weiteres Mal wiederholen.
Insgesamt, so waren sich die Diskutanten einig, sei der Prozess hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Umso wichtiger sei es, was man nach dem offiziellen Abschluss daraus mache. Dies betreffe vor allen Dingen auch die Frage der V-Leute, deren Rolle im gesamten Komplex an vielen Stellen zweifehalt bleibe. Vor allem die politische Kontrolle der V-Leute müsse zukünftig deutlich verbessert werden, wenn man das System nicht insgesamt in Frage stellen wolle.