Zum Auftakt des Projektes „Integrationspolitik für die Mehrheitsgesellschaft – Bildungs- und Beteiligungsmöglichkeiten für junge und alte Menschen im Ruhrgebiet“ fand am 27. März 2018 in der Bonner Akademie eine Veranstaltung zum Thema „Was die Menschen ‚wirklich‘ denken – Demokratie in Zeiten des Populismus“ statt. Über die konkreten Herausforderungen für unser politisches System durch den erstarkenden Populismus diskutierten Jörg Schönenborn, Fernsehdirektor des Westdeutschen Rundfunks, Angelika Hellemann, stellvertretende Politikchefin der Bild am Sonntag, Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen, und Frank Stauss, Politikberater und Werbetexter. Die Moderation der Podiumsdiskussion übernahm Stefan Weigel, stellvertretender Chefredakteur der Rheinischen Post.






Fotos: Volker Lannert
In seiner Begrüßung bezeichnete Prof. Bodo Hombach, Präsident der Bonner Akademie, das Thema des Abends als drängende Systemfrage, die eine Selbstevaluierung unseres politischen Systems zunehmend erforderlich mache, gerade auch vor dem Hintergrund, dass Populisten die Ängste der Menschen sehr geschickt ausnutzten. Teile der Gesellschaft – das dürfe man genauso wenig vergessen – hätten allerdings tatsächliche Gründe, Meinungsbildern und Weichenstellern gegenüber ihr Misstrauen auszusprechen, weshalb die Ängste der Menschen nicht per se verteufelt werden dürften. Dabei täten sich einige Politiker in ihrer zunehmenden Bürgerverdrossenheit jedoch schwer; etlichen fehle die Fantasie, an eine Gesellschaft zu denken, die mehr sei als ein Markt.
Auf die zu Beginn der Diskussion von Moderator Stefan Weigel aufgeworfene Frage, inwiefern die Lücke zwischen politischem Anspruch und gesellschaftlicher Wirklichkeit von ‚den Populisten‘ ausgenutzt werden, erläuterte Jörg Schönenborn Taktik und Strategie: Sie seien sehr geschickt darin, gerade die Menschen und ihre Ängste zu adressieren, die sich von der Politik übergangen oder sogar ignoriert fühlten. Vor dem Hintergrund, dass zu viele Debatten etwa zum Thema Islam noch immer mit erhobenem Zeigefinger geführt würden, müssten auch die Medien entsprechende Lehren daraus ziehen und Sachthemen ernsthaft und vollumfänglich diskutieren.
Angelika Hellemann widersprach mit Blick auf die Islamdebatte: Medial werde diese ausgeschlachtet und befeuere lediglich die Öfen derjenigen, die extreme oder gar extremistische Ansichten zu dem Thema hegten, weit wichtigere und relevantere Themen lasse sie hingegen verblassen. Besonders spiegele sich dies in den sozialen Medien wieder, in denen die Debattenkultur weit populistischer und oft polemisch sowie von Meinung und Emotion geprägt sei. So sorgten die sozialen Netzwerke für eine Verzerrung der demokratischen Debattenkultur; gleichermaßen würden sie jedoch von einer steigenden Anzahl an Menschen als Hauptinformationsquelle genutzt.
Frank Stauss unterstützte dieses Argument: Die fast zwanzigminütigen Erläuterungen Angela Merkels zu den Abstiegsängsten wachsender Teile unserer Gesellschaft in der Regierungserklärung hätten zu einem deutlich geringeren medialen Echo geführt als die neuste von Innenminister Horst Seehofer ausgelöste Diskussion um die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehöre. Eigentlich, so Stauss, bewegten die Menschen ganz andere Themen als die, die tagtäglich unsere Schlagzeilen dominierten. Die größte Herausforderung für die Bundesrepublik seien weder Islam oder Migration, sondern vor allem die Binnenmigration innerhalb unseres Landes. Hinzu komme, dass Digitalisierung und demographischer Wandel nicht mehr nur bloße Schlagwörter seien, sondern drängende Herausforderungen unsere Zeit, auf die endlich passende Antworten gefunden werden müssten.
Mit Blick auf unser politisches System verdeutlichte Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, dass zivilisierter Streit und eine gesunde Diskussionskultur das Fundament unserer Demokratie seien und nicht, wie oftmals angenommen, ein immerwährender Konsens aller Parteien. Politische Konstellationen wie die Große Koalition führten jedoch zu einer ‚Debattenallergie‘, die Populisten erst die Chance eröffneten, in der politischen Monotonie aufzufallen. Zur Skepsis gegenüber dem politischen System komme außerdem noch eine wachsende Medienverdrossenheit hinzu, die zu einer Flucht ins Internet und in die sozialen Medien führe. Dies sei auch Resultat unserer Stigmatisierungskultur, in der viele das Gefühl hätten, nicht sagen zu dürfen, was sie eigentlich denken.
Insgesamt, so waren sich die Diskutanten einig, müsse man den Menschen jedoch wieder mehr zuhören. Rex Tillerson habe den Wahlerfolg von Donald Trump einst mit dem kurzen Satz „Can you hear me now?“ erklärt; diesen gelte es auch unter Einbezug der Wahlerfolge der AfD künftig ernster zu nehmen. Wie dies gelingen kann, wird nicht zuletzt auch die Bonner Akademie in den kommenden drei Jahren im Rahmen des Projektes „Integrationspolitik für die Mehrheitsgesellschaft“ beschäftigen.