Am 29. November 2018 veranstaltete die Bonner Akademie in Kooperation mit der Brost-Stiftung und der Vertretung des Landes Rheinland-Pfalz in Berlin eine Podiumsdiskussion zum Thema „Was ist Heimat? Zur politischen Wirkungsmacht einer fast vergessenen Kategorie“. Auf dem Podium diskutierte Alexander Schweitzer, Vorsitzender der SPD-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag, gemeinsam mit den beiden Autoren Alexander Schimmelbusch („Hochdeutschland“) und Lucas Vogelsang („Heimaterde. Eine Weltreise durch Deutschland“) den aktuell kontroversen Begriff der Heimat. Der Journalist und Moderator Louis Klamroth führte durch den Abend. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Projektes „Integrationspolitik für die Mehrheitsgesellschaft“ statt, das die BAPP im Auftrag der Brost-Stiftung durchführt.
In seinen einführenden Worten verwies Prof. Bodo Hombach, Präsident der Bonner Akademie, auf ein wachsendes Bewusstsein für Regionalität. Die erstarkte Heimat-Debatte beleuchte die Sehnsucht nach einem Rückzugsort in einem durch Digitalisierung und Globalisierung beschleunigten Zeitalter. Darüber hinaus legte er die historische Belastung des Begriffes dar. Auch aus diesem Grunde dürfe man die Definitionsmacht nicht an spaltende Kräfte abgeben: „Ich finde es ehrenwert, dass Volksparteien ihnen dieses Wort nicht überlassen wollen.“, so Prof. Hombach.
Zu Beginn der Diskussionsrunde richtete der Moderator Louis Klamroth den Blick auf die im Vorjahr vollzogene Erweiterung des Innenministeriums durch das Ressort Heimat. Die Frage, ob man dem Bundesinnenminister Horst Seehofer für diese Initiierung dankbar sein müsse, verneinte Alexander Schweitzer in diesem Zusammenhang, da sich der Heimatbegriff nach seiner Auffassung nicht politisch definieren lasse. Lucas Vogelsang stimmte diesem Standpunkt zu. „Seehofer reitet Rodeo auf einem Pferd, das er nicht zähmen kann.“, so der Autor, der anhand dieser Aussage die explosive Wirkungsmacht der Diskussion rund um die vielfältige Auffassung von „Heimat“ veranschaulichte.
Alexander Schimmelbusch ging auf die Problematik des Heimatverlustes ein, dem er eine ökonomische Ursache beimaß. Nicht Zuwanderung stelle die primäre Gefährdung des Heimatgefühles dar, wie häufig von Rechtspopulisten statuiert, sondern Vermögensabbau. Alexander Schweitzer stimmte dem zu und betonte zudem die beschwerlichen Lebensbedingungen in strukturschwachen ländlichen Regionen. Als Beispiele nannte er die Schließung zahlreicher Geschäfte und den Mangel einer flächendeckenden ärztlichen Versorgung. Städte hingegen stünden vor dem drängenden Problem der Wohnungsknappheit, fügte Schimmelbusch ergänzend hinzu. Darüber hinaus betonte er, dass die aufgezeigten Herausforderungen das gesellschaftliche Zugehörigkeitsgefühl breiter Bevölkerungsschichten bedrohten. Dies könne zu einer empfundenen Ausgrenzung führen. Wie eine Person die eigene, individuelle Position in der Gesellschaft wahrnimmt – ob sie sich dieser zugehörig oder von ihr abgehängt fühlt – ist laut Lucas Vogelsang untrennbar mit dem täglich erlebten Umfeld verknüpft. „Heimat ist da, wo Dir Dein Umfeld nicht egal ist.“, so Vogelsang, der somit ebenfalls dem kollektiven Gemeinschaftsgefühl eine bedeutsame Rolle zusprach.
Die Frage nach der Ursache für das Wiederaufkommen der Heimatdebatte beantwortete Alexander Schweitzer mit der These, dass eine Demokratie eine gemeinschaftsstiftende Identität benötige. Die Diskussion über die Definition des Heimatbegriffes dürfe allerdings nicht ausgrenzen, sondern müsse offen gehalten werden. Dem zustimmend merkte Alexander Schimmelbusch an, dass Heimat aktuell noch viel zu schmal definiert werde. Lucas Vogelsang erkannte in der aktuellen Debatte ein rhetorisches Tänzeln um die Frage, was eigentlich „deutsch“ sei.
Auf dem Podium herrschte Einigkeit darüber, dass Heimat eine Kategorie darstellt, die sich – nicht zuletzt aufgrund der starken persönlichen Aufladung – einer feststehenden Definition entzieht. Passend dazu bezog Lucas Vogelsang im Schlusswort der Diskussion das berühmte Berlin-Zitat Karl Schefflers auf den Heimat-Begriff: Dieser sei, wie auch die schnelllebige Hauptstadt, „dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein.“