Fünf Panels an zwei Veranstaltungstagen (30./31. Oktober 2018), 20 Referate sowie mehrere Impulsvorträge! 60 Teilnehmer des 6. Deutsch-Chinesischen Akademischen Forums in München diskutierten intensiv die Herausforderungen in den Beziehungen beider Länder. Akademisch und faktenreich, begleitet von politischer Expertise hochkarätiger Gäste wie den Ex-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber (CSU) und Rudolf Scharping (SPD), Ex-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) sowie den NRW-Ministern Hendrik Wüst (CDU/Verkehr) und Stephan Holthoff-Pförtner (CDU/Europa). Mit Perspektiven der Annäherung – zu denen ungewollt auch US-Präsident Donald Trump beitrug.
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Der amerikanische Präsident hätte sich als Gast wahrscheinlich über die „Anerkennung“ in einem unerwarteten Kontext gefreut. „Ich habe die Beobachtung gemacht, dass wir uns ein wenig angenähert und besser verstanden haben“, fasste Professor Bodo Hombach, Präsident der Bonner Akademie (BAPP), zum Abschluss das 6. Deutsch-Chinesische Akademische Forum in München zusammen. „Donald Trump hat diesen Prozess beschleunigt, dafür gebührt ihm unser Dank…“
Mit fünf Panels an zwei Veranstaltungstagen (30./31. Oktober 2018), 20 Referaten sowie mehreren Impulsvorträgen hatten sich 60 Teilnehmer bis dahin ambitioniert am Dualismus China-Deutschland abgearbeitet. Die erfolgreiche Kooperation zwischen der Bonner Akademie, der Chinese Academy for Social Sciences (CASS), dem CASS Forum und der Social Sciences in China Press (SSCP) wurde in diesem Jahr gemeinsam mit der Hanns-Seidel-Stiftung unter Vorsitz von Professorin Ursula Männle fortgesetzt.
Der Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, sowie Internationales des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Stephan Holthoff-Pförtner, zeigte sich erfreut über die vielschichtige Zusammenarbeit auf bi- und multilateraler Ebene zwischen Deutschland und China und betonte die immense Bedeutungen solcher wichtigen Zusammenkünfte um das gegenseitige Vertrauen zu fördern und das gemeinsame Verständnis füreinander zu fördern. Er machte allerdings ebenfalls deutlich, dass dieses gegenseitige Vertrauen nur dauerhaft von Bestand sein könne, wenn man sich an gemeinsame Regeln halte.
Dem Paradigma folgend, dass Vertrauen DER zentrale Baustein für künftiges Miteinander in ALLENBereichen sein wird. Oder wie es Bayerns früherer Ministerpräsident Dr. Dr. h.c. Edmund Stoiber in der Keynote formulierte: „Die Erfahrung lehrt, dass eine intensive wirtschaftliche Verflechtung, zusammen mit kulturellem Austausch und enger Zusammenarbeit im Wissenschafts- und Bildungsbereich Vorurteile abbauen und Garant für eine gedeihliche Entwicklung sein kann.“
Diese Quintessenz untermauerte Rudolf Scharping, einst SPD-Kanzlerkandidat und heute mit seinem Beratungsunternehmen RSBK am Abschluss vieler deutsch-chinesischer Wirtschaftsprojekte beteiligt, in den Ausführungen im 1. Panel („Internationaler Handel und die „Made in China 2025“-Strategie). Zwischen 1980 und 2017 wuchs der Pro-Kopf-Anteil am Brutto-Inlandsprodukt in China von 309 auf 8643 US-Dollar. Steil wurde die Erfolgskurve erst nach 2001 mit dem Beitritt Chinas in die Welthandelsorganisation (WTO). Bei aller Anstrengung im wirtschaftlichen Binnengefüge braucht also auch das 1,4-Milliarden-Volk Zugang zu internationalen Märkten, deren Regeln es umgekehrt weitgehend akzeptieren muss.
Die faktenreiche Darstellung Scharpings ergänzte Professor Sun Hui, Herausgeber der „Social Sciences in China Press“, durch einen Exkurs zum Verständnis der Philosophie in China. Als Grundmotiv künftigen Miteinanders schlug er die von der Staatsführung geprägte Idee der „Schicksalsgemeinschaft aller Menschen“, nach deren Verständnis der gemeinsame Lebensraum der „einen Erde“ bei allen Völkern hohes Interesse an friedlicher Co-Existenz auslösen muss. Dieses sozio-philosophische Motiv zog sich wie ein roter Faden durch fast alle Debattenbeiträge der chinesischen Gäste.
Die philosophischen Betrachtungen unterlegte Professor Dr. Klaus Gretschmann mit der praktischen Herleitung der These „Vertrauen reduziert Transaktionskosten“. Gretschmann: „Wenn wir darauf vertrauen können, dass sich niemand unfair unzulässige Vorteile verschaffen will, d.h. sich freiwillig und auf Gegenseitigkeit gemeinsam konsentierten Normen unterwirft und danach handelt, dann sinkt die Notwendigkeit von Kontrollen, von rechtlichen Vertragsklauseln, von Vertragsüberwachung und Vertragssicherung, von Abwehrreaktionen.“
Professor Dr. Frank Decker, Wissenschaftlicher Leiter der BAPP, fasste die Denkanstöße des 1. Panels so zusammen: „Die zeigt die Idee der „Schicksalsgemeinschaft aller Menschen“ zeigt, was China und die westliche Wohlstandsgesellschaft miteinander verbindet. Zu den zentralen Zukunftsfragen gehört: Wie kann geistiges Eigentum geschützt werden?“.
Mit weiteren Zukunftsperspektiven befasste sich das 2. Panel unter der Überschrift „Die gemeinsame Zukunft der Weltgemeinschaft in Zeiten der Globalisierung“. Professorin He Jingjing (Institut für internationales Recht an der Chinese Academy of Social Sciences/CASS) vermittelte Einblicke ins Bemühen Chinas, internationale Handelsstreitigkeiten beizulegen, die durch die Strategie „One belt, one road“ immer wieder ausgelöst werden. Das Projekt „One Belt, One Road“ bündelt seit 2013 die Ziele der Volksrepublik China unter Staatspräsident Xi Jinping zum Auf- und Ausbau interkontinentaler Handelsnetze mit 64 weiteren Ländern Afrikas, Asiens und Europas.
Dass Recht und Ordnung dabei DER Weg für eine offene und sichere Gesellschaft sind, thematisierte das gleichnamige dritte Panel. Hans-Jürgen Jakobs, Herausgeber des Handelsblattes: „Ein solcher Rechtsstaat, der täglich lebt, ist kompliziert. Rechtsfindung dauert notgedrungen lange. Wenn einzelne Politiker oder Parteien glauben, in ihrem Wunsch nach Anerkennung angeblicher Tatkraft, Gesetze biegen und dehnen und zerstören zu können, dann muss eine öffentliche Diskussion für Korrektur sorgen.“
Am Abend des 1. Tagungstages sprach schließlich der Minister für Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst, MdL, zu den Anwesenden. Der Minister betonte die immens wichtige Beziehung zwischen Deutschland und China und wiese besonders auf die starken ökonomischen Verflechtungen hin, die beiden Ländern gegenseitig nutzen würden. Mit einem besonderen Augenmerk auf Nordrhein-Westfalen fügte er zudem hinzu, dass dieses als Bundesland der Investitionsstandort Nr. 1 in Deutschland für chinesische Investoren sei und er sich darüber freue, dass diese inspirierende Partnerschaft auch künftig weiter ausgebaut werde.
Der zweite Tag des akademischen Forums lenkte den Blick von der Metaebene des Staates auf konkrete Problemstellungen bei der Herstellung gleicher Lebensbedingungen zwischen Stadt- und Landbevölkerung (4. Panel) sowie Bürgerbeteiligung an Entscheidungs- und Willensbildungsprozessen der Gesellschaft (5. Panel).
Die Prognose der UN, nach der in 30 Jahren etwas dreiviertel der Bevölkerung in städtischen Ballungsräumen leben, belegt den Handlungsdruck sowohl Deutschlands als auch Chinas. Professor Manfred Miosga, Experte für Stadt- und Regionalentwicklung der Uni Bayreuth, beschrieb Gründe für die Landflucht: „Ländliche Räume brauchen Infrastruktur, Zugang zu Bildung, Möglichkeiten zur Erwerbstätigkeit sowie ärztliche Versorgung.“ In den letzten 15 bis 20 Jahren Wirtschaftswachstum sei es der staatlichen Raumplanung nicht mehr gelungen, diese Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Von den Folgen erzählt Josef Steigenberger als 1. Bürgermeister der Gemeinde Bernried am Starnberger See. „Wenn man den Prognosen glaubt, wächst die bayerische Bevölkerung bis 2036 von derzeit 13 Millionen um weitere 473000 Menschen. Davon entfallen auf München und Umgebung allein 416000, also knapp 90 Prozent!“
Für Chinas Regierung entscheidet die Moderation dieser Urbanisierungsprozesse ihre Legitimation und Akzeptanz. Die Provinzstadt Chongqing gilt mit 32 Millionen Einwohnern als größte Metropole der Welt, gleichzeitig sterben in wirtschaftlich rückständigen Regionen kleinere Lebensgemeinschaften.
Klaus Holetschek, erster Bürgerbeauftragter der Bayerischen Landesregierung, sprach im 5. Panel über sein Selbstverständnis, „ganz nahe beim Menschen zu sein“. Aber: „Am Ende der Bürgerbeteiligung muss die Entscheidung bei den Gremien der repräsentativen Demokratie liegen. Und von allen akzeptiert werden.“ Bürgerbeteiligung in einer wachsenden Zivilgesellschaft mit schrumpfenden Volksparteien sei aber auch mit Gefahren für die Demokratie verknüpft, mahnte Dr. Thomas Röbke, Geschäftsführender Vorstand des Landesnetzwerkes Bürgerschaftliches Engagement Bayern. „Immer mehr Gruppen organisieren sich im unkontrollierten Darknet. Bei Pegida sammeln sich Bürger gegen die Demokratie. Die Zivilgesellschaft muss diese Einflüsse zurückdrängen.“
Aus der Debatte leitete sich für China und Deutschland, trotz zweier fundamental unterschiedlicher Staatsformen, die gleiche Zukunftsfrage ab, die Bodo Hombach zum Abschied formulierte: „Wie erhalte ich die Loyaltität des Volkes?“. Es müsse gelingen, die Bürger dort abzuholen, wo sie gerade sind. Und nicht dort, wo man sie vermute oder gerne hätte. „China steht vor seiner größten Herausforderung. Das Volk wünscht sich mehr Demokratie, gleichzeitig mehr Sicherheit“, fügte Professor Wang Limin, Geschäftsführender Chefredakteur der Social Sciences in China Press, hinzu.
Schlusswort und Ausblick des 6. Akademischen Forums gebührt einem Satz Alltagsphilosophie, der nicht nur deshalb Brücken schlägt, weil er in den Quellen sowohl Franz Kafka als auch dem chinesischen Schriftsteller Lu Xun zugeschrieben wird: „Wege entstehen, indem man sie geht.“