Am 11. Oktober 2019 fand das 2. Lokalforum Ruhrgebiet zum Thema „Die Bedeutung der Quartiersarbeit für die Integration der Mehrheitsgesellschaft“ statt. Im Rahmen des Projekts „Integrationspolitik für die Mehrheitsgesellschaft – Bildungs- und Beteiligungsmöglichkeiten für junge und alte Menschen“ diskutierte das Projektteam gemeinsam mit Praxisexperten und Multiplikatoren aus dem Ruhrgebiet, ob und wie die Quartiersarbeit dazu beitragen kann, die Menschen vor Ort in ihr soziales Umfeld zu (re-)integrieren. Dabei stellten die Teilnehmer auch ihre Erfahrungen und Best-Practice-Beispiele vor, die zu einem besseren Verständnis über die Mechanismen und Funktionsweise dieser lokalen Ebene beitragen konnten.
In seiner Begrüßung wies Prof. Dr. Volker Kronenberg, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bonner Akademie und Projektleiter, darauf hin, dass die Bestandsaufnahme für das Ruhrgebiet gemischt sei: man müsse die Erfahrungen dort nicht als Schwarz/Weiß- sondern als Grautöne interpretieren. In wenigen anderen Regionen Deutschland bündelten sich so viele gesellschaftliche Entwicklungen wie unter dem „Brennglas Ruhrgebiet“. Die Ängste und Verunsicherungen der Menschen dort führten zu einer Suche und einer regelrechten Sehnsucht nach dem, was (vermeintlich) einmal gewesen ist. Hierbei komme die Quartiersarbeit ins Spiel, die als „zentraler Baustein fürs Nachdenken, wie Politik funktionieren kann“ fungiere. Schon vor über 200 Jahren spielte dieses Thema eine Rolle bei Alexis de Tocqueville, der in Form der Kommunen bereits die Notwendigkeit von Quartiersarbeit andeutete. Heutzutage sei ein kohärenter und wirksamer Plan zur Entwicklung der Stadtteile essentiell, wenn man dem Strukturwandel und seinen Effekten entgegen wirken wolle.
Im Anschluss daran leitete Paul Hendricksen vom Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Arbeit und Beratung (ISSAB) der Universität Duisburg-Essen seinen Vortrag mit der übergeordneten Frage ein, ob die Quartiersarbeit überhaupt über die richtigen Ansätze zur Integration der Mehrheitsgesellschaft verfüge. Zwar ließe die Fülle an Leitbegriffen, die im Zusammenhang mit der Quartiersarbeit stehen – wie etwa Stadtteilentwicklung, Quartiersarbeit, Gemeinwesenarbeit, etc. – darauf schließen, dass der Stadtteil eine gewisse Renaissance erlebt hat, auch weil man im Stadtteil heterogene Gruppen erreichen kann, an denen rein zielgruppenorientierte Methoden häufig scheiterten. Trotzdem dürfe man die Möglichkeiten der Quartiersarbeit nicht überschätzen, da es sich nicht um einen kurzfristigen Prozess zum Feuerlöschen handele, sondern um langjährige Arbeit, die nicht selten in der sogenannten Projektitis ende. Wichtig sei es dabei, die Integration der Mehrheitsgesellschaft gesamtgesellschaftlich anzugehen, d.h. die wohlhabenderen südlichen Stadtteile im Ruhrgebiet mit einzubeziehen. Abschließend formulierte der Referent die These, dass Probleme in den Stadtteilen existieren, die die Quartiersarbeit nicht lösen könne – dafür sei sie aber in der Lage, demokratische Prozesse im Stadtteil transparenter zu machen.
In einem zweiten Impulsvortrag beleuchtete Andreas Beilein von der Stadtentwicklung der Stadt Datteln die Möglichkeiten und Herausforderungen für Praktiker. Dabei betonte er, dass für Kommunen, Länder und den Bund Förderprogramme als zentrales Mittel für die Stadt(teil)entwicklung zählten. Typischerweise sollten diese auf „die Herzen der Bewohner abzielen“ und durch eine Top-Down-Strategie die Aufwertung des Stadtteils – etwa durch vielfältige Akteursbeteiligung oder Baumaßnahmen – erreichen. Dabei bemängelte er aber, dass soziale Integrationsansätze zumeist schwach ausgeprägt seien, da sie in den Projektbeschreibungen allenfalls als investitionsbegleitende Maßnahmen gelistet würden. Die größten Vorteile für die Menschen in den Quartieren entstünden aber dadurch, dass tatsächlich „Kümmerer“ vor Ort kommen, um sich den Problemen der Menschen greifbar anzunehmen, und dass solche Projekte meist auch mit positiver Berichterstattung verbunden seien. Zuletzt beantwortete der Referent die Frage, ob Integration auf Stadtteilebene gelingen könne, mit der These, dass Stadtentwicklungsprogramme lediglich die engagierte Mittelschicht erreiche, nicht aber den beängstigten Kleinbürger. Trotzdem könne sie weitere Anknüpfungspunkte schaffen, die für eine erfolgreiche Integrationspolitik relevant sind.
In der nachfolgenden Diskussion konnten die teilnehmenden Expertinnen und Experten ihre Einschätzungen und Erfahrungen kundtun. Zunächst wurde dabei die Frage aufgeworfen, was Mehrheitsgesellschaft eigentlich bedeute. Schaue man sich die Zahlen von Menschen mit Migrationshintergrund in Stadtteilen wie Duisburg-Hochfeld an, dann müsse man hinterfragen, wer eigentlich wo hinein integriert werden solle. Umso mehr werde dann deutlich, dass eine einseitige Integrationspolitik nicht funktionieren kann, sondern dass ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz notwendig sei. Problematisch sei natürlich auch die Finanzierung von Initiativen und Projekten, hinter denen nicht die Öffentliche Hand als Geldgeber steht. Gerade als Einzelkämpfer habe man es hierbei schwer, weshalb der Ausbau eines größeren Netzwerks unerlässlich sei. Letztendlich zögen finanzielle Engpässe aber auch immer den negativen Effekt nach sich, dass man etwa als Sozialarbeiter niemals eine Garantie für spürbare Verbesserungen geben könne.
Neben den Problemen und Herausforderungen stimmten die Diskutanten allerdings auch der Aussage zu, dass es enorm wichtig sei, auch positive Bilder aus dem Stadtteil zu vermitteln. Das Aufzeigen von schönen Orten im Quartier könne zu einer erhöhten Identifikation mit dem Stadtteil und damit auch zur Förderung der Nachbarschaft dienen. Dabei kommen die „Stadtteilkümmerer“ aber nicht darum herum, die Menschen im Stadtteil direkt anzusprechen: dies müsse zum Teil von Haustür zu Haustür geschehen, aber auch andere Instrumente wie Stadtteilbüros oder Stadtteilzeitungen könnten zu dem Aufbau eines Vertrauensverhältnisses beitragen – offizielle Stellen wie von den Kommunen, von Universitäten oder von Ämtern hingegen würden oft Misstrauen erwecken und damit in der Ansprache der Zielgruppe wenig Erfolg haben.
Zuletzt wurde noch über die vom Projektteam aufgeworfene Frage debattiert, was in den jeweiligen Stadtteilen passieren würde, wenn die Projekte und Initiativen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer über Nacht verschwinden würden. Daraufhin lautete die Antwort, dass zunächst das Ehrenamt darunter leiden würde und dass auch ein erheblicher Anteil der Kommunikationsinfrastruktur innerhalb des Stadtteils wegfiele. Effektiv würden diese Initiativen bereits Aufgaben übernehmen, die eigentlich der Politik und Verwaltung zufielen, so dass ohne sie die Kommunen viel stärker aktiv werden müssten.