Interview mit Marc Steinhäuser

Das dieswöchige Interview haben wir mit Marc Steinhäuser, WDR-Redakteur für Landespolitik, über das Medienverhalten der Bevölkerung und die Verantwortung der Medien in Krisenzeiten
Foto: Tilman Schenkgeführt. Dabei ging es thematisch um Medienverantwortung und das Medienverhalten der Bevölkerung in Krisenzeiten.

Foto: Tilman Schenk

Marc Steinhäuser, WDR-Redakteur für Landespolitik, über das Medienverhalten der Bevölkerung und die Verantwortung der Medien in Krisenzeiten
von Redaktion / in Sonderveröffentlichungen /

Bonner Akademie: Welche Trends in der Mediennutzung zeigt die Corona-Krise?
Marc Steinhäuser: Das Bedürfnis nach Informationen bei den Bürgern ist enorm – besonders das lineare Fernsehen profitiert. Öffentlich-rechtliche Angebote erleben einen enormen Zuspruch, gerade von jüngeren Menschen. Etwa die Tagesschau erreicht teils knapp 20 Millionen Zuschauer – so viele wie sonst nur in Halbzeitpausen während Fußball-Übertragungen. Aber auch einordnende, politische Formate sind stark gefragt. Gleichzeitig boomen Wissens-Podcasts, Info-Grafiken und Live-Streams – und auch viele Behörden gehen neue Wege.

 

„Die Corona-Krise war lange Zeit eine Krise ohne Gesicht“

 

Bonner Akademie: Welche Macht haben die Bilder im Fernsehen aus Italien oder China? Wie beeinflussen sie die politische Debatte in Deutschland?
Steinhäuser: Die Corona-Krise war lange Zeit eine Krise ohne Gesicht. Denn das Virus ist unsichtbar, die leeren Straßen von Wuhan doch für die meisten weit weg. Die Berichte aus Italien haben allerdings aus meiner Sicht ein Umdenken befördert. Die überfüllten Kliniken, die vom Militär abtransportierten Toten – diese Bilder gingen den Menschen nahe. Ich glaube, dass diese Berichte von Journalisten wichtig waren. Sie haben vielen vor Augen geführt, wie dramatisch die Lage tatsächlich ist.

 

Bonner Akademie: Mehr Chancen oder mehr Risiken wegen „Fake News“: Was bietet Social Media in diesem Ausnahmezustand?
Steinhäuser: Social Media verstärkt die jeweiligen Impulse. Einerseits die Verunsicherung, wenn wir etwa an die irreführenden Meldungen zu möglichen Risiken bei Ibuprofen denken. Andererseits verstärken soziale Netzwerke aber auch die Hilfsbereitschaft in der Krise. Ich sehe deshalb mehr Chancen. Trotz der Kontaktverbote und Ausgangsbeschränkungen bleibt im Netz viel Raum für Interaktion und sozialen Austausch. Die digitale Nähe hilft, den analogen Ausnahmezustand zu bewältigen.

Bonner Akademie: Wie kann man als Journalist für kritische Einordnung sorgen, wenn alle Verantwortlichen doch das richtige Ziel verfolgen, die Epidemie einzudämmen?
Steinhäuser: Mein Job ist es ganz sicher nicht, die Appelle der Regierung eins zu eins zu wiederholen und alle Mitmenschen dazu aufzufordern, zu Hause zu bleiben. Es ist sicher wichtig, die Epidemie einzudämmen und unser Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu schützen. Deshalb sollten Journalisten die Maßnahmen der Regierung vermitteln – aber selbstverständlich auch hinterfragen. Denn eines ist auch klar: Die Regierung greift gerade massiv in die Grundrechte der Bürger ein.

„Kritik am Krisenmanagement ist nicht verantwortungslos, sondern wertvoll“

 

Bonner Akademie: Was bedeutet es für den politischen Journalismus, wenn die Regierung so stark im Fokus steht?
Steinhäuser: Wir müssen noch genauer hinschauen. Die Exekutive ist auf allen Ebenen gefordert. Ich erlebe Minister und Behördenmitarbeiter, die enormen Einsatz zeigen und an ihre persönlichen Grenzen gehen. Davor habe ich großen Respekt. Aber die Coronakrise wird von manchen auch schon genutzt, um im Eiltempo irgendwelche Notstandsgesetze durchzudrücken, die man eigentlich gar nicht braucht. Gerade jetzt dürfen die Gegenstimmen nicht verstummen. Kritik am Krisenmanagement ist nicht verantwortungslos, sondern wertvoll. Das ist Teil unserer Demokratie. 

Bonner Akademie: Verantwortliche Politiker nutzen in der Krise quasi alle Kanäle. Was funktioniert gut?

Steinhäuser: Der Erfolg hängt oft davon ab, ob der Kanal zum Politiker passt. Beispiel Markus Söder: Der bayerische Ministerpräsident hat auf Instagram sein Krisenmanager-Image mit Fotos aus gut gefüllten Lebensmittel-Lagern geschickt ergänzt. Seine Regierung experimentiert auch mit Messenger-Diensten. Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker – selbst zwischenzeitig in Quarantäne – hat ihren Bürgern über WhatsApp-Sprachnachrichten ins Gewissen geredet. Das war sehr persönlich und erfolgreich.

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