Bericht zur Morgerunde „Politische Bildung“ am 03.12.2020

Am 3. Dezember fand die erste BAPP-Morgenrunde statt. Die Morgenrunde als neues Format zielt darauf ab, einen im kleinen Kreis einen Austausch zwischen Expertinnen und Experten zu ermöglichen. Damit ergänzen sie die Lokalforen Ruhrgebiet, indem sie einen klareren Blick auf die konkrete Praxis vor Ort ermöglichen. Die erste Morgenrunde fand zum Thema politische Bildung statt; aufgrund der aktuellen Corona-Situation digital über Zoom.

Die Teilehmerinnen und Teilnehmer der Morgenrunde im Zoom-Gespräch
Die Morgenrunde dient als neues Format, das den Austausch zwischen Experten und Projektpartnern anstreben soll.
Forschungslandkarte zum Suchbegriff „Politische Erwachsenenbildung“; Quelle: Transfer für Bildung e.V., https://transfer-politische-bildung.de/transfermaterial/forschungslandkarte/

Nach einer kurzen Begrüßung durch die Projektleiterin, Frau Butz, erfolgte eine generelle Vorstellung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Neben dem Projektteam waren renommierte Expertinnen und Experten aus Essen anwesend, die sich mit politischer Bildung aus wissenschaftlicher und praktischer Sicht beschäftigen. Mit Professor Dr. Klaus-Peter Hufer von der Universität Duisburg-Essen, Dr. Helle Becker und Annabell Brosi, Geschäftsführerin bzw. Referentin bei Transfer für Bildung e.V., war die Wissenschaft stark vertreten, aber auch die Praxis kam natürlich nicht zu kurz: Die politische Jugendbildung wurde sowohl von Florian van Rheinberg von der politischen Jugendbildung der Stadt Essen als auch von Jonas Ploeger, Fachstelle für das Projekt „Demokratie Leben!“, vertreten.

Ohne weitere Verzögerungen wurde dann auch in die Diskussion gestartet, die das Herzstück dieses Formates darstellt. Die Eingangsfrage des Projektteams lautete, welche Herausforderungen bzw. Hürden die politischen Bildner in ihrem Alltag erleben würden; und dies nicht nur auf die aktuelle Corona-Situation bezogen, auch wenn dies natürlich starken Einfluss auf die Arbeit ausübt. Vor generelle Probleme werde die politische Bildung natürlich durch die zunehmende Fragmentierung der Gesellschaft gestellt, auch bedingt durch die stetige Individualisierung, wie Professor Hufer bemerkte. Auf wissenschaftlicher Ebene könne man zudem feststellen, dass politische Bildner keine formelle Ausbildung hinter sich hätten und sich daher die individuelle Definition je nach Sozialisation ändern würde – ein politischer Bildner, der bei einer Stadt angestellt sei, hätte vielleicht andere Vorstellungen als einer, der über einen konfessionellen Träger eingestellt ist, so Dr. Helle Becker. Annabell Brosi hingegen bemängelte, dass ein Problem der Verstetigung von Austauschformaten vorliegt, das heißt, dass Langfristigkeit und Nachhaltigkeit häufig nicht garantiert werden können.  Florian van Rheinberg merkte außerdem aus praktischer Perspektive an, dass die Qualität von Online-Formaten deutlich hinter den analogen Formaten hinterherhinkt, obwohl das Arbeitspensum für die Organisation beider Arten zumindest gleichwertig sei. Jonas Ploeger brachte außerdem ein, dass die enorme Themenvielfalt und Aktualität es schwer machen, immer auf der Höhe der Zeit zu bleiben; in seiner Zeit seit 2015 hat er bereits viele verschiedene Themenkomplexe wie Pegida, extremistischer Salafismus, HoGeSa, Reichsbürger und nun Reichsbürger behandelt.

In der Folge entwickelte sich ein dynamisches Gespräch, in dem der Austausch zwischen Praxis und Wissenschaft fokussiert wurde. Weitere interessante Themenfelder rund um die politische Bildung wurden identifiziert und besprochen. Professor Hufer etwa brachte den Aspekt der ‚Verbetriebswirtschaftlichung‘ der politischen Bildung ein, die die politische Bildung in Schulen vor Probleme stelle. So kritisierte er ein neues Gesetz der Landesregierung, nach dem der soziologische Teil zugunsten von Wirtschaftsthemen im Politikunterricht zurückgefahren werden soll. Gerade eine Wertediskussion zu führen sei aber extrem wichtig, um die Jugendlichen für ihr gesellschaftliches Leben zu wappnen.

Abseits von der Jugendbildung sei es zudem notwendig, die Erwachsenenbildung nicht zu vernachlässigen; zahlreiche aktuelle Beispiele wie die „Steeler Jungs“, eine neonazistische, bürgerwehrsähnliche Gruppierung im Essener Osten, verdeutlichen dies. Da Jugendliche natürlich auch von Eltern und anderen Erwachsenen beeinflusst werden, sei eine Kombination von Jugend- und Erwachsenenbildung mehr als nur sinnvoll. Ein wichtiger Aspekt, der in diesem Zusammenhang immer wieder betont wurde, war die Subjektorientierung bei der politischen Bildung. So liege die Stärke der politischen Bildung eben in der direkten Ansprache – Florian van Rheinberg brachte dies insofern auf den Punkt, dass er sich selbst als einflussreicher bei seinen Jugendlichen sehe als YouTube – eben weil die persönliche Ansprache die hohe Reichweite der sozialen Medien übertrumpfen könne.

Zentral für jede Zielgruppe sei selbstverständlich das Zuhören, welches wiederum einen persönlichen Bezug ermögliche. Im Kontext der sich anscheinend verbreitenden Verschwörungstheorien wurde dabei betont, dass man dem Gegenüber klar machen müsse, dass man die Person schätze, deren Aussagen aber ablehne. Hierzu merkte Jonas Ploeger an, dass der Fokus seiner politischen Bildungsarbeit im kommenden Jahr vermutlich auf der Mediennutzung und Selektion von Nachrichten liegen wird, da dies immer wichtiger werde im Hinblick auf Corona-Leugnung und Fake News.  Die Aufgabe der politischen Bildung sei es auch daher, normative Ideen wie Solidarität oder Freiheit auf kleine Handlungsweisungen herunterzureichen und einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu ermöglichen.

Ein großer Themenkomplex war auch der infrastrukturelle Zustand der politischen Bildung, den viele der Diskutanten für die Zeit nach Corona als sogar noch fragiler prognostizierten. Dr. Helle Becker bemerkte dazu, dass die politische Bildung kein praktisches, sondern ein strukturelles Problem hätte, auch dadurch, dass sie nur als Feuerwehr eingesetzt würde, wenn ein gesellschaftliches Problem so akut ist, dass es nicht mehr ignoriert werden könne. Allerdings könne sie dabei nicht auf etablierte Strukturen zurückgreifen, was die Arbeit erschwere. Interessanterweise spielt Geld (oder eher das Fehlen eben dieses) nicht immer eine Rolle, aber die Frage nach der Verteilung bleibt bestehen. Zudem stehen politische Bildner häufig vor einem gewissen Rechtfertigungsdruck, der durch die bereits erwähnte Ökonomisierung der (außer)schulischen politischen Bildung zugenommen habe.

Insgesamt produzierte die Morgenrunde damit ein intensives aber dynamisches Gespräch, welches sogar zu einer Idee für eine Kooperation zwischen mehreren Teilnehmerinnen und Teilnehmern geführt hat. In diesem Sinne wurden nicht nur wertvolle Erkenntnisse für die Projektarbeit gewonnen, sondern auch die wissenschaftlichen sowie praktischen Erfahrungen erfolgreich ausgetauscht. Dabei wurde ehrlich und sachlich über die Herausforderungen und Probleme berichtet, allerdings wurden auch viele positive Beispiele und tolle Projekte vorgestellt!

Hier finden Sie ein Interview mit Prof. Hufer in der WAZ am 02. Dezember 2020 über den Umgang mit Coronaleugnern (WAZ+)

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