Wer keine Macht hat, kann nichts machen!
Darin waren sich die früheren Kanzleramtsstrategen bei der BAPP-Diskussion um „Kunst und Risiko guter Regierungsarbeit“ einig – auch über Parteigrenzen hinweg.
Sie tragen alle das „Ex“ im politischen Lebenslauf, die Botschaften der drei ehemaligen Chefs des Bundes-kanzleramtes waren aber mitnichten von gestern. Und was Prof. Bodo Hombach (SPD/1998-99 Kanzleramts-Minister), Dr. Thomas de Maizière (CDU/2005-09) sowie Ronald Pofalla (CDU/2009-13) aus ihrer ganz persönlichen Erfahrung im Umgang mit der Macht berichteten, hatte für die Besucher des Bonner Universitätsforums neben hohem Erkenntnis- vor allem ausgeprägten Unterhaltungswert. Mit sehr aktuellen Bezügen!
„Demokratie und Mitgliederbefragung schützen nicht davor, Ungeeignete an die Macht zu bringen“, führte Hombach zum Auftakt der Diskussionsrunde „Macht und Ohnmacht in der Politik – Über Kunst und Risiko guter Regierungsarbeit“ aus. Pofalla wurde noch deutlicher im Seitenhieb Richtung SPD, als er in einer Episode das aktuell wieder einmal diskutierte ambivalente Verhältnis der Sozialdemokratie zur Macht erhellte.
„Bevor die erste Groko die Regierung antrat, saß ich mit Franz Müntefering zusammen. Der schaute ziemlich unglücklich, obwohl er als Bundesminister für Arbeit und Soziales vorgesehen war. Auf meine Frage nach seinem schwer erklärbaren Gemütszustand antwortete er: ‚Auch wenn man vorher in der Partei hohe Anerkennung genoss, im Moment, in dem man Minister wird, begegnen einem die Genossen mit großem Misstrauen‘.“ Wenige Tage vorher hatte „Münte“ nach einer Auseinandersetzung mit der Parteilinken das Amt des Parteivorsitzenden zur Verfügung gestellt.
Es waren diese persönlichen Einblicke in den politischen Alltag, mit denen die von Ulrike Demmer, Journalistin und stellvertretende Regierungssprecherin, packend moderierte Runde die Gäste der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP) fesselte. Und gleichzeitig auf spannende Art belehrte.
„Die meisten Menschen wissen nicht, was Regieren ist“, so de Maizière. „Beim Tischler, Arzt oder Journalisten haben sie eine Vorstellung vom Berufsalltag. Politiker sehen sie selten bei der richtigen Arbeit, sondern auf Festakten, als Redner im Bundestag oder anlässlich von Treffen, bei denen vorfahrende Autos und winkende Minister gezeigt werden.“ Der frühere Innenminister (2013-18) verkürzte die im Buch „Regieren“ gewährten Einblicke in die Werkstatt der Macht noch einmal auf zehn Regeln für gutes Regieren (siehe Text unten). Sein frühes, im Laufe des Abends unwidersprochenes Fazit: „In Deutschland gibt es ein tiefsitzendes Misstrauen gegen Macht an sich. Dabei ist die Vorstellung, es könnte etwas ohne Macht umgesetzt werden, sehr naiv.“
An diesem Punkt waren sich die „Macher“ aus dem Politikbetrieb über Parteigrenzen hinweg einig. „Macht gut eingesetzt führt zu guten Ergebnissen und einem funktionierenden Staat“, lautet das Credo Pofallas. Und Hombach, heute Präsident der Bonner Akademie, spitzte noch zu: „Demokratische Machtausübung ist alternativlos! Es braucht Macht zur Gestaltung und sie ist demokratisch legitimiert.“ Trotz des in der SPD verbreiteten Gens, Opposition ginge leichter als Regieren, sei man nach der Kohl-Ära mit festen Vorstellungen, was zu tun sei, angetreten. „Die Arbeitslosigkeit im Osten lag bei 20 Prozent, im Westen bei 10 Prozent, die Sozialsysteme waren zum Zerreißen belastet.“ Die Schröder-Mannschaft habe eigene Maßstäbe gehabt, sich an deren Realisierung gemessen. Hombach: „So macht Regieren Spaß.“
Eben jene Freude sei bei der aktuellen Groko nicht mehr zu erkennen, kritisierte de Maizière. „Die Grünen dagegen freuen sich aufs Regieren, sie verbreiten gute Laune, das ist ein Teil ihres Erfolgskonzeptes.“
Immer wieder Groko – auch Pofalla wünschte dem schwarz-roten Zweckbündnis „mehr Mumm in der Hose“. Der heutige Vorstand der Deutschen Bahn AG sieht die bisherigen politischen Elefantenhochzeiten positiv: „Mir fehlt jedes Verständnis für die Darstellung, die großen Koalitionen seien nicht erfolgreich gewesen. In der ersten Groko gelang es, die Weltwirtschaftskrise an Deutschland vorbei zu führen. Die zweite hat es zu Beginn geschafft, mit dem Strom der Flüchtlinge umzugehen und Grundlagen geschaffen, das spätere Problem in den Griff zu bekommen.“
An der Flüchtlingsdebatte machte Thomas de Maizière eine weitere Qualität guter Regierungsarbeit fest: „2015 gab es eine überwältigende Willkommenskultur, im Januar 2016 galten plötzlich alle Flüchtlinge als Vergewaltiger. Eine Regierung muss diese Befindlichkeiten erkennen, so wie aktuell in der Klimadebatte. Aber sie darf sich nicht zum Vollstrecker von Stimmungen machen.“ Im Zeitalter permanenter Erregung in den sozialen Netzwerken eine große Herausforderung.
Als Ulrike Demmer die Runde gegen Ende für Fragen aus dem Publikum öffnete, schloss sich der Kreis zur aktuellen politischen Debatte, in deren Mittelpunkt erneut der Begriff „Koalitionsvertrag“ steht. Ob der mit rund 300 Seiten nicht viel zu umfangreich sei, wollte ein Zuhörer wissen. Pofalla hält „20-25 Seiten“ für eine ausreichende Grundlage zur Fixierung künftiger Zusammenarbeit: „Früher wurde ein solcher Vertrag im kleinen Kreis verhandelt, heute sitzen 80 bis 100 Leute am Tisch und es kommen eben diese 300 Seiten heraus.“ Die offensichtlich immer noch nicht ausreichen, um den Fortbestand der Groko zu sichern.
Thomas de Maizières zehn Punkte für gutes Regieren:
- Hart arbeiten und Disziplin üben.
- Klug führen und entscheiden.
- Schweren Situationen nicht ausweichen.
- Klug verhandeln! Verhandlungen sind das Kern-geschäft der Politik.
- Vorsichtig sein mit großen Ankündigungen, Ver-traulichkeit wahren.
- Kultur, Traditionen und Mentalitäten in den Regierungsstrukturen nutzen und prägen.
- Persönliche Verantwortung, politische Verant-wortung sowie Verfahrensverantwortung über-nehmen.
- Selbstinitiative zeigen und sich nicht auffressen lassen von der Alltagsroutine.
- Substanz ist wichtiger als Inszenierung, aber Inszenierung darf nicht unterschätzt werden.
- Loyalität erwarten und loyal sein. Erst kommt das Land, dann die Partei, dann die Person.
Text: Wilfried Pastors
Bilder: BAPP / Günther Ortmann