Anlässlich des 300. Geburtstags des Philosophen Immanuel Kant haben die Bonner Akademie (BAPP), die Brost-Akademie, das Forum Sozialversicherungswissenschaft e.V. sowie die Bonner LESE am 9. April 2024 zur Veranstaltung „Kant und Bildung – Drei Bonner Hochschulen“ eingeladen.
Vor über 170 Teilnehmenden referierten Dr. Larissa Berger, Dozentin für Praktische Philosophie an der Universität Siegen sowie Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Otfried Höffe, Professor für Philosophie und Mitglied der Leopoldina, über Immanuel Kant und seine Gedanken über das Elternrecht auf Bildung und seine Philosophie der Erziehung. Im Anschluss diskutierten die Referenten Prof. Dr. Hans-Joachim Pieper, Rektor der Alanus-Hochschule, Prof. Dr. Rainer Schäfer, Professor für klassische Philosophie an der Universität Bonn sowie Prof. Dr. Klaus Lehmann, Geschäftsführer des Zentrums für Ethik und Verantwortung der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, über Kants Bedeutung für die Hochschullehre.
Nach der Begrüßung durch Prof. Dr. Michael Heister (Vorsitzender des Forums Sozialversicherungswissenschaft e.V., Abteilungsleiter im Bundesinstitut für Berufsbildung und Honorarprofessor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg) und Dr. Emil Schwippert (Geschäftsführer der Bonner LESE) begann zunächst Dr. Larissa Berger mit ihrem Vortrag über Kant und das Elternrecht auf Bildung.
Dr. Larissa Berger zitierte relevante Paragraphen aus Kants Werken und entwickelte darauf aufbauend eine anschauliche Darstellung von Kants grundlegenden Ideen. Zunächst erläuterte Dr. Berger Kants Betrachtungen zum Eherecht und hob dann die Frage nach den Rechten und Pflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern hervor (§ 28). Diese Verantwortung erstreckt sich laut Kant bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Kinder in der Lage sind, sich selbst zu versorgen. Essen, Pflege und Sicherheit sind grundlegende Bedürfnisse, die Eltern gewährleisten müssen. Doch Dr. Berger machte deutlich, dass es auch Verbote gibt: Eltern dürfen ihre Kinder nicht als bloße Besitztümer betrachten oder ihnen Schaden zufügen, sei es physisch oder moralisch.
Die Referentin betonte weiterhin, dass Kinder nicht nur physische Wesen sind, sondern auch Vernunftbegabte mit moralischen Ansprüchen. Sie zog eine klare Linie zwischen dem Akt der Zeugung und der moralischen Verantwortung der Eltern. Diese tragen die volle Verantwortung für das Wohl und die Erziehung ihrer Kinder, da sie sie eigenmächtig in die Welt hineingezogen haben. Aus dieser Verantwortung leitet sich das Recht der Eltern zur Bildung und Erziehung ihrer Kinder ab. Sie dürfen ihre Kinder gemäß den Prinzipien der Kultivierung und Zivilisierung formen, um sie zu moralisch handelnden Individuen heranzubilden. Dazu gehört auch das Recht, ihre Kinder zum Lernen zu zwingen und gegebenenfalls Strafen anzudrohen.
Jedoch hob Dr. Berger auch hervor, dass die Schuld der Eltern besteht, wenn sie ihren Pflichten nicht gerecht werden. Sie müssen sich bemühen, ihre Kinder bestmöglich zu fördern und zu vervollkommnen, sowohl körperlich als auch geistig (§ 29). Letztendlich liegt es an den Eltern, die Grundlage für das moralische und intellektuelle Wachstum ihrer Kinder zu legen, damit sie zu verantwortungsbewussten Mitgliedern der Gesellschaft heranreifen können.
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Otfried Höffe widmete sich in seinem Vortrag der Philosophie der Erziehung im Kontext von Immanuel Kants Denken. Seine Ausführungen spannten einen Bogen von grundlegenden philosophischen Prinzipien bis hin zu konkreten pädagogischen Ansätzen. Zu Beginn zitierte er das berühmte Kant-Zitat, wonach der Mensch das einzige Geschöpf ist, das erzogen werden muss. Dies unterstrich die zentrale Rolle der Erziehung als nicht nur eine Eigentümlichkeit, sondern eine Notwendigkeit für die menschliche Existenz. Im Gegensatz zu anderen Lebewesen verfügt der Mensch nicht über angeborene Instinkte, sondern muss durch Erziehung zu einem moralischen und vernunftbegabten Wesen geformt werden.
Prof. Dr. Höffe betonte die grundlegende Aufgabe der Erziehung, Weltbürgerlichkeit zu fördern, insbesondere in Zeiten der Globalisierung. Dabei sei es wichtig, dass dieser Kosmopolitismus ökologisch orientiert ist und Charaktereigenschaften wie geistige Courage gefördert werden. In Bezug auf die praktische Umsetzung der Erziehung skizzierte Prof. Dr. Höffe drei Stufen: das Disziplinieren, das Kultivieren und das Zivilisieren. Beim Disziplinieren geht es laut Kant vor allem darum, die inneren Zwänge und Triebe des Menschen zu überwinden, um die Vernunft nutzen zu können. Dies beinhaltet eine bewusste Lenkung von Bedürfnissen wie Essen, Trinken und Sexualität im Einklang mit rationalen Zwecken. Die Stufe des Kultivierens zielt darauf ab, menschliche Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf der Beherrschung äußerer Werkzeuge, sondern vor allem auf der Entfaltung innerer Fähigkeiten und der Fähigkeit zur eigenständigen Informationsverarbeitung. Hierbei wird die Notwendigkeit betont, Kinder von unnötiger Abhängigkeit von externen Werkzeugen zu befreien und ihre eigenen Fähigkeiten zu entfalten. Die Zivilisierung beinhaltet die Anpassung des Menschen an die gesellschaftlichen Normen und die Förderung von Weltklugheit sowie Privatklugheit. Es geht darum, sich in die Gesellschaft einzufügen, beliebt zu sein und Einfluss zu haben, jedoch ohne das Wohl der Gemeinschaft aus den Augen zu verlieren.
Schließlich sprach Prof. Dr. Höffe über die höchste Stufe der Erziehung, das Moralisieren. Kant betonte die Schwierigkeit dieser Aufgabe, da die Menschheit noch nicht im Zeitalter der abgeschlossenen Moralisierung lebe. Dennoch sei es wichtig, moralische Werte wie Ehrlichkeit und Autonomie zu vermitteln und Laster wie Lüge mit Verachtung zu bestrafen, anstatt sie zu belohnen. Hierbei spiele die Entwicklung eines autonomen moralischen Urteils eine entscheidende Rolle, damit das Kind die Laster nicht nur verabscheut, weil es von außen sanktioniert wird, sondern weil es sie als intrinsisch verwerflich erkennt.
In einer lebhaften Podiumsdiskussion tauschten die Teilnehmer Prof. Dr. Rainer Schäfer (Universität Bonn), Prof. Dr. Hans-Joachim Pieper (Alanus-Hochschule) und Prof. Dr. Klaus Lehmann (Hochschule Bonn-Rhein-Sieg) ihre Ansichten über Bildung, Kants Philosophie und die Rolle der Künstlichen Intelligenz aus, angeregt durch Fragen aus dem Publikum und der Moderatorin Prof. Dr. Helga Seel (Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Forum Sozialversicherungswissenschaft e.V.).
Prof. Dr. Pieper betonte dabei, dass Bildung als die nachhaltigste Investition in die Zukunft betrachtet werden sollte. Doch wie soll diese Bildung gestaltet sein und wie kann uns Kant dabei weiterhelfen? Die Diskussion konzentrierte sich auf Aspekte wie Sinnorientierung, Kreativität und den Dialog zwischen Rationalität und Gefühl, sowie zwischen Wissenschaft und Kunst.
Prof. Dr. Lehmann unterstrich die Bedeutung einer ganzheitlichen Bildung, die nicht nur fachbezogen, sondern auch fachübergreifend ist. Studierende sollten sich bewusst sein, dass ihr Wissen eine Gestaltungsmacht hat, die über das hinausgeht, was aktuell benötigt wird, um die Herausforderungen der heutigen Gesellschaft zu bewältigen.
Die Diskussion weitete sich aus, als Prof. Dr. Schäfer das Thema Bildung im Kontext von Kants Ideen über Friedenssicherung und Weltföderalismus ansprach. Bildung sollte demnach die Förderung von selbstständigem Denken unterstützen, was Kant in seinem Aufklärungsaufsatz betonte. Die Podiumsteilnehmer diskutierten auch, ob und inwieweit Künstliche Intelligenz das von Kant geforderte Selbstdenken beeinflusst oder unterstützt.
Prof. Dr. Schäfer erläuterte die Einzigartigkeit von Kants Philosophie des Denkens und ihre Verbindung zum moralischen Denken. Konstruktiver Streit, wie von Prof. Dr. Lehmann vorgeschlagen, könne zu neuen Erkenntnissen führen und das Verständnis zwischen Menschen verbessern.
Die Diskussion schwenkte zu Kants Formalismus, der von einigen als Stärke und von anderen als Schwäche betrachtet wurde. Prof. Dr. Pieper und Prof. Dr. Schäfer diskutierten die Bedeutung dieser Sichtweise und betonten die Verantwortung der Hochschulen in diesem Kontext. Insgesamt brachte die Podiumsdiskussion verschiedene Perspektiven auf Bildung und Kants Philosophie hervor und unterstrich die Bedeutung eines ganzheitlichen Bildungsansatzes für die heutige Gesellschaft.